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Bagger reißen das Haus in Abbottabad nieder, ...

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... in dem Bin Laden bescheiden gewohnt hat.

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Weißes Haus, Situation Room, Tag der Aktion.

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Graphik: Standard

"For God and country - Geronimo, Geronimo, Geronimo. Enemy killed in action." So lautete der Funkspruch der amerikanischen Elitesoldaten, mit dem sie Meldung an den bis auf den letzten Platz besetzten Lageraum im Weißen Haus machten. Der Feind mit dem vom berühmten Indianerhäuptling entlehnten Codenamen war soeben im pakistanischen Abbottabad getötet worden. Ein Mitglied des Navy-Seals-Team 6 hatte Osama Bin Laden mit seiner Heckler&Koch 416 in Brust und Kopf geschossen. Am frühen Morgen des 2. Mai 2011 war der meistgesuchte Terrorist der Welt Geschichte. "Wir haben ihn", kommentierte US-Präsident Barack Obama damals trocken.

Nachdem die ersten Meldungen vom Tod des "Terrorfürsten" über Twitter die Runde gemacht hatten, brach die Hölle los. Wie genau lief die Operation ab? Wer hatte ihn verraten? Ja, war es denn tatsächlich Bin Laden? Und wenn ja, warum zeigten die USA dann keine Fotos oder Genproben als Beweis? Hatten die Seals einen expliziten Auftrag zur Liquidierung oder war es wie CIA-Chef Leon Panetta immer wieder betonte, keine "kill mission"? Warum wurde der Leichnam Bin Ladens so schnell auf See bestattet? Darüber wurde nach der Aktion ausgiebig spekuliert und gestritten.

Wie aber Osama Bin Laden seine Tage in Abbottabad verbracht hatte, was die dort gefundenen Unterlagen und Computern enthielten und wie er seine Terrorgruppe noch führen konnte - darüber ist auch ein Jahr nach dem Tod des Al-Kaida-Chefs wenig bekannt. Bis auf Trivialitäten, dass er Pornofilme konsumiert haben soll und sich seine drei Frauen gegenseitig nicht ausstehen konnten, ist kaum etwas an die Öffentlichkeit gedrungen. Vor allem nicht darüber, wie er seinen Kampf fortzuführen gedachte.

Am Dienstag kündigten die USA allerdings an, noch in dieser Woche Aufzeichnungen Bin Ladens zu veröffentlichen. Darin soll der Saudi unter anderem beklagen, dass seine Organisation "Desaster nach Desaster" erleide, sagte der US-Anti-Terror-Beauftragte, John Brennan, in Washington.

Die in Abbottabad beschlagnahmten Schriftstücke sollen in den kommenden Tagen auf der Website der US-Militärakademie von West Point veröffentlicht werden. Vor seinem Tod habe der Al-Kaida-Chef auch über einen neuen Namen für seine Gruppe nachgedacht, um sie wieder attraktiver zu machen, sagte Brennan. Bin Laden habe sich darüber beklagt, dass die USA inzwischen nicht mehr vom "Krieg gegen den Terrorismus" sprächen und sich dadurch weniger Muslime beleidigt fühlten. Seine Anhänger habe der Al-Kaida-Chef aufgefordert, die pakistanischen Stammesgebiete zu meiden, wo sie US-Luftüberwachung und Bombardierungen zu befürchten hätten

Attentatspläne gegen Obama

In seinem operativen Fokus standen nach 9/11 noch immer die USA: In einem 48-seitigen Brief an seine rechte Hand Atiyah Abd al-Rahman, den der US-Journalist David Ignatius vor wenigen Wochen einsehen konnte, befahl er Angriffe auf die Flugzeuge von Präsident Obama und des damaligen Oberkommandierenden in Afghanistan, General David Petraeus. "Der Grund dafür", so hatte es Bin Laden seinen Frauen in die Feder diktiert, "ist, dass der Tod Obamas automatisch Vizepräsident (Joe) Biden zum Präsidenten machen würde. Dieser ist auf diesen Job völlig unvorbereitet, die USA würden in eine Krise schlittern. (...) Petraeus dagegen ist der Mann der Stunde, sein Tod würde den Verlauf des Krieges in Afghanistan verändern."

Der pakistanische Islamist Ilyas Kashimi sollte nach dem Willen des Al-Kaida-Chefs die Angriffe ausführen und wurde von ihm um Auskunft über den Fortgang der Planungen gebeten. Er kam ein Monat nach Bin Laden bei selbst einem Drohnenangriff der Amerikaner ums Leben.

Selbstkritisch nimmt Bin Laden auch Stellung zu den Fehlern seiner Organisation nach den Attentaten vom 11. September 2011: Seine Anhänger hätten im Irak und anderswo den Fehler begangen, auch Muslime zu töten. Das habe Al-Kaida "extrem großen Schaden" zugefügt, weil nicht nur das Image der Organisation in der muslimischen Welt Schaden genommen haben, sondern auch zehntausende Sympathisanten in Ägypten oder Saudi Arabien eingesperrt worden seien: "Das hat uns dahin geführt, dass wir einige Schlachten gewonnen haben, den Krieg aber am Ende verloren."

Um die Reputation seiner Gruppe wiederherzustellen, wünschte sich Bin Laden, dass sein Sohn Hamza in Katar als religiöser Gelehrter ausgebildet werden solle, um den Ruf seines Heiligen Krieges wiederherzustellen: "Wir kommen in eine Lage, in der Engstirnigkeit tödlich wird."

Terrormanagement

Deutlich wird in den Papieren auch, wie schwierig das Management Al-Kaidas zuletzt geworden sein musste. Bin Laden, der auf den Gebrauch von Internet und Telefon verzichtete (sein Haus in Abbottabad hatte keinerlei Anschlüsse), war in seinen letzten sechs Jahren in der nordpakistanischen Garnisonsstadt auf von Boten überbrachten Schriftverkehr angewiesen. Die Zustellung konnte Monate in Anspruch nehmen und war gefährlich. In der Tat kam die CIA Bin Laden auf die Schliche, als sie einen seiner Emissäre, Abu Ahmed al-Kuwaiti, bis nach Abbottabad verfolgte.

Inzwischen gehen US-Anti-Terror-Spezialisten davon aus, dass Al-Kaida nicht mehr zu einem großen Anschlag fähig ist. Die Ideologie der Gruppe habe mit dem arabischen Frühling an Boden verloren, sagte zuletzt der Vizedirektor der National Intelligence, Robert Cardillo. Was Bin Laden befürchtet hat, scheint eingetroffen. (Christoph Prantner, DER STANDARD, 2.5.2012)