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In den USA zieren bereits Aufkleber mit Unterstützungsparolen für Chen Guangcheng die Stoßstangen zahlreicher Autos. 

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Schwierige Mission für Hillary Clinton in China. 

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US-Präsident Barack Obama wandelt in der "Causa Chen" auf einem diplomatischen Minenfeld.

 

Barack Obama war 2009 kaum im Amt, da erklärte Hillary Clinton die Menschenrechte de facto zur Nebensache in den Beziehungen mit China. Natürlich müsse man auf deren Einhaltung pochen, sagte die Außenministerin, aber amerikanischer Druck dürfe sich nicht nachteilig auswirken auf die Kooperation in der globalen Krise.

Gut drei Jahre später schlägt Clinton einen deutlich kritischeren, selbstbewussteren Ton an. "Zu einem konstruktiven Verhältnis gehört es, sehr offen über Dinge zu reden, bei denen wir nicht einer Meinung sind, eingeschlossen die Menschenrechte."

Am Mittwoch brechen Clinton und Finanzminister Tim Geithner zu einer Reise ins Reich der Mitte auf, zum alljährlich stattfindenden strategischen Dialog mit China. Währungsmanipulation, Handelshürden, der Diebstahl geistigen Eigentums, die Aufrüstung Chinas zur See, die Verlegung von US-Marineinfanteristen nach Australien: Es geht um Konflikte, die entschärft werden sollen.

Diesmal aber dürfte der Streit um Chen Guangcheng, den blinden chinesischen Dissidenten, wie ein Schatten auf der Konferenz liegen. In die US-Botschaft in Peking geflohen, setzt der mutige Anwalt auf US-Hilfe. Fürs Weiße Haus ist das ein klassischer Spagat zwischen Freiheitsrechten, Rücksichtnahme auf China und die innenpolitische Polemik eines diffizilen Wahljahres.

Die Sache ist so delikat, dass Obama nicht einmal bestätigen wollte, ob Chen tatsächlich in der US-Mission Zuflucht fand. Stattdessen beließ es der Präsident bei der generellen Bemerkung, dass China "stärker sein wird, wenn es sein eigenes System öffnet". Hinter dem verbalen Slalomlauf steckt der Versuch, den Fall möglichst geräuschlos zu lösen, bevor er sich zu einer echten Krise auswachsen kann.

Faktor im US-Wahlkampf

Am Ende, dies gilt als wahrscheinlichste Variante, dürfte der Advokat in den USA Asyl erhalten, auch wenn er es nach eigenen Worten nicht will. Wie der "worst case" aussieht, hat Kenneth Lieberthal, Chinaexperte der angesehenen Brookings Institution, skizziert: Demnach entlässt Peking Chen weder daheim in die Freiheit, noch lässt sie ihn bald in die USA ausreisen, was bedeuten würde, dass er auf absehbare Zeit in der Botschaft bliebe. "Damit hätten wir einen langfristigen Störfaktor, genau das, was die Hardliner wollen", so Lieberthal.

In einem ähnlichen Fall dauerte es 1989/90 zwölf Monate, ehe ein Ausweg gefunden war: Nach den Protesten auf dem Tiananmen-Platz war Fang Lizhi, ein Astrophysiker, in die US-Auslandsmission in Peking geflohen. Erst nach einem Jahr wurde er abgeschoben, unter dem Vorwand einer medizinischen Behandlung in Großbritannien.

Zu Hause wird Mitt Romney, der wahrscheinliche Präsidentschaftskandidat der Konservativen, keine Gelegenheit auslassen, Obama als Schwächling zu bezeichnen, der windelweiche Kompromisse schließt, statt die Flagge der Freiheit hochzuhalten.

Sollte Obama nicht alles tun, um Chen und dessen Familie zu schützen, will Romney den Fall zum Wahlkampfthema machen. Eine härtere Gangart gegenüber China gehört zu seinen wenigen bereits erkennbaren Außenpolitik-Leitlinien. Obama, behauptet Romney oft und gern, lasse sich von den Chinesen doch nur auf der Nase herumtanzen. (Frank Herrmann aus Washington /DER STANDARD, 2.5.2012)