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Anfang der 90er Jahre kaufen "Unternehmer" fast jedes Haus im Dorf und verwandeln es in ein Bordelldorf, eines von vielen entlang der Grenze zu Deutschland.

Foto: ap / Franka Bruns

Es ist nur Mathematik: Als ehemaliger Betreiber einer Videothek weiß ich, dass 60 Prozent des Umsatzes aus der Pornokammer kommen. Im Winter 1998 bin ich kein Videothekar mehr, sondern nur ein Typ, dem das Geld knapp wird. Meine Freundin und ich beschließen, einen Porno zu produzieren. Das ist nur Logik.

Das Dorf an der Grenze

Manche Dörfer haben ein Bordell. Dieses Dorf ist ein Bordell. Anfang der 90er Jahre, so erzählt mir unser tschechischer Partner Zdenek, kaufen "Unternehmer" wie er fast jedes Haus im Dorf und verwandeln es in ein Bordelldorf, eines von vielen entlang der Grenze zu Deutschland. Hier, so scheint mir, ist die Grenzlinie zweier Staaten mit Spermaflüssigkeit in die Landschaft gespritzt. Doch die Goldgräberzeit ist schon vorbei. In der Dämmerung des neuen Jahrtausends erlöschen im Bordelldorf die meisten roten Laternen über den Haustüren. In einem dieser Häuser warten wir auf das Eintreffen unserer acht gebuchten "DarstellerInnen"

Die einzigen Bewohner "unseres" Bordells sind eine namenlose, alkoholkranke Prostituierte aus der Ukraine, die zwar schon über 50 ist, aber bettelt, in unserem Porno mitspielen zu dürfen, und ein riesiger Kerl aus Russland, den wir "Big Jim" nennen. Zdenek sagt mir, Big Jim sei hier, um auf die Liegenschaft aufzupassen, weil er ein ehemaliger Marinesoldat der Roten Armee ist. Big Jim nickt, grinst, tippt mit dem Daumen auf seine Brust und sagt: "Kabul 1980." Die DarstellerInnen poltern durch die Tür.

Eisberg voraus!

Pornodarsteller werden am Ende jedes Drehtages in bar bezahlt. Hier und heute sind das 400 US-Dollar pro Szene für Frauen, 250 bis 300 US-Dollar für Männer. Deswegen haben wir sehr viel Bargeld dabei. Und eine Videoausrüstung im Wert von einer Million Schilling. Das Equipment und das Auto, ein nagelneuer Van einer deutschen Qualitätsmarke, gehören meinem Wiener Partner Georg. Mit unserem tschechischen Partner Zdenek vereinbaren wir eine Drittelzahlung der Gagen. Doch schon am ersten Drehtag ist Zdenek kurz vor Drehschluss verschwunden. Er lässt durch Big Jim ausrichten, er werde seinen Anteil am Ende der drei veranschlagten Drehtage bezahlen. Big Jim erklärt: "Important business in town!" Und legt uns fürsorglich nahe, die wertvolle Ausrüstung über Nacht im Bordell zu verstauen. Weil das sicherer sei.

Georg, meiner Freundin und mir ist nun klar, dass wir auf unserer ganz privaten Porno-Titanic sitzen. Die Band spielt zwar noch, aber es ist nur eine Frage weniger Stunden, bis wir ohne Geld, Auto und Videoausrüstung in einem von deutschem Sperma durchnässten Bordelldorf erwachen werden.

Para Bellum!

Wenn es um die Lösung von Problemen geht, entwickelt meine Freundin stets kreativen Irrsinn. In diesem Fall ist es ein Lehrbeispiel aus der "Kunst des Krieges" von Sun Tse: "Kennst du deinen Gegner so gut wie dich selbst, musst du den Ausgang von tausend Schlachten nicht fürchten!" Außerdem hat sie genug von Intimrasuren an Fremden und dem Wegschminken der roten Punkte, die danach unweigerlich auf der Haut entstehen.

Unser taktischer Rückzug gründet auf der simplen Annahme meiner Freundin, die größte Stärke eines Russen, zumal Soldat, sei auch seine größte Schwäche. Und das sei Wodkasaufen. Es klingt einfach: Big Jim wird unter den Tisch gesoffen, wir fahren nach Wien. Doch der Haken lauert im Detail. Während ich mit Big Jim saufe, präsentiert meine Freundin ihre Doppel-Ds, damit ich heimlich meinen Wodka in den Topf mit dem Plastikgummibaum kippen kann und Georg inzwischen heimlich die Ausrüstung im Auto verstaut. Aber das Wegkippen gelingt nur bei jedem dritten, vierten Wodka. Ich werde zur galvanischen Opferanode, und meine Synapsen ersaufen bald im Alkohol.

Wodka und Blut

Big Jim ist bestens gelaunt und gibt in broken Denglisch seine Kriegserlebnisse zum Besten. Auch diese klingen ganz nach dem mordbrennenden "Russ", der 1945 in Österreich einfällt. Big Jim vergewaltigt Frauen und jagt in den Höhlen des Tora-Bora-Gebirges die Mudschahedin. Immer, wenn er kann, beginnt er seine Morde mit einem Bauchschuss und beendet sie geraume Zeit später mit seinem Bajonett. Die Bilder in meinem Kopf wirbeln im Alkohol durcheinander, bis ich nur noch abgeschnittene Köpfe sehe, die auf Strömen von Blut aus den Höhlen Afghanistans treiben.

Der Störangriff erfolgt unerwartet. Gerade grabscht Big Jim lallend nach den Brüsten meiner Freundin, und sie ist geschickt dabei, sie ihm mal hinzuhalten und mal zu entziehen. Aus der Dunkelheit greift die Hand der namenlosen Nutte nach der Wodkaflasche. Vermutlich ist ihr Alkoholspiegel gefährlich gesunken und sie ist aus ihrem üblichen Dämmerzustand erwacht. Bald bettelt sie wieder um eine Rolle in unserem Porno. Ich kotze in den Topf mit dem Ficus benjamina aus Plastik.

Endsieg!

Als Big Jim endlich umkippt, liege ich seit einer Stunde im Wachkoma. Der Wodka hat meine Motorik weitgehend ausgeschaltet. Nach dem letzten Lichtkoffer bugsiert mich Georg auf den Rücksitz, wir rasen Richtung Wien. Meine Freundin hält meinen Kopf aus dem Fenster. Eine Spur aus Kotze zieht sich bis zur österreichischen Grenze, wo ich endgültig in Ohnmacht falle. Wir sind um 40.000 Schilling ärmer, haben nur vier Szenen im Kasten, und die Stirnhöhlenentzündung vom Fahrtwind quält mich wochenlang. 

Nachspiel

Wenige Tage nach unserer Rückkehr aus dem Bordelldorf beschließt Hans Gratzer, im Schauspielhaus Wien eine Crossover-Produktion aus Theater und Video zu inszenieren. Die Regie für das Videobit im Stück "Der Zensor" von Anthony Neilson bekomme auf Betreiben meiner Freundin ich. Ich drehe mit Simone Mende, Wofram Rupperti und Eva Klemt auf der Probebühne des Schauspielhauses und verwende die Close-ups des "Rein-Raus" von unserem einzigen Drehtag an der tschechischen Grenze. Für die Regie und die Abgeltung der Rechte auf die Pornosequenzen bekomme ich eine Gage von 5.000 Schilling. Das Kulturressort der "Presse" berichtet: "Die Peinklichkeit bleibt, wo sie hingehört - auf der Videowand!" (Bogumil Balkansky, daStandard.at, 1.6.2012)