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Das Rathaus von Innsbruck.

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Erste Gemeinderatssitzung des neu gewählten Stadtparlaments.

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Günther Platter und Christine Oppitz-Plörer.

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Günther Platter, Christine Oppitz-Plörer, die grüne Vizebürgermeisterin Sonja Pitscheider und der Vizebürgermeister Christoph Kaufmann.

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"Es ist ein liberalerer, ein wirtschaftsfreundlicher, aber auch ein anständigerer Flügel, der findet es gibt eine gewisse Selbstbedienungsmentalität, die wir nicht mitmachen", sagt Gebi Mair über Für Innsbruck.

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In Innsbruck gehen zwei konservative Kräfte in Zukunft getrennte Wege.

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Oppitz-Plörer und ihr unterlegener Konkurrent Christoph Platzgummer.

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Fünf Minuten. Fünf kurze Minuten. Mehr Zeit schenkte der Tiroler Landeshauptmann Günter Platter (ÖVP) der neuen und alten Innsbrucker Bürgermeisterin Christine Oppitz-Plörer (Liste Für Innsbruck) am Tag ihrer Angelobung nicht.

In letzter Minute betrat er den Gemeinderatssaal der Tiroler Landeshauptstadt. Kurze Zeremonie, versteinerte Miene, Foto, keine Blumen. Beim traditionellen Empfang der Schützen in der Altstadt tauchte weder Platter noch einer seiner Landesregierungskollegen auf. Die Noch-immer-Parteikollegin Oppitz-Plörer schritt allein im Schnürlregen an den Trachtenformationen vorbei. Der Landeshauptmann ließ sich mit der Begründung entschuldigen, dass er schließlich gerade Großvater geworden sei.

Verlust der Macht nach 67 Jahren

Es waren Minuten der Pflicht, die den Zustand einer Beziehung beschreiben. Aus zwei Listen einer Parteienfamilie sind zwei unabhängige Gruppierungen geworden - spätestens in diesem Frühjahr. Die bürgerlichen Kräfte - die ÖVP und die Anfang der 90er aus ihr hervorgegangene Liste Für Innsbruck (FI) - sind in Innsbruck gerade dabei, die Trennung zu vollziehen. Erstmals seit 67 Jahren ist die Innsbrucker Volkspartei nicht mehr in der Stadtregierung. An ihrer Stelle regiert Für Innsbruck mit den Grünen und den Sozialdemokraten - in einer Ampelkoalition.

Für Innsbruck entstand 1994, gegründet vom heutigen Landtagspräsidenten Herwig Van Staa, aus einem Flügelkampf innerhalb der Volkspartei. Van Staa und seine Gefolgsleute wollten den amtierenden ÖVP-Bürgermeister Romuald Niescher aus dem Amt jagen, ein Kunststück, das gelang. Seitdem koalierten die beiden bürgerlichen Gruppen miteinander, Mandatare von Für Innsbruck waren selbstverständlich auch ÖVP-Mitglieder und gehörten als solche den Gremien der Partei an. Dennoch trat Für Innsbruck als eigenständige Liste an - wie auch der Seniorenbund, der mit einem Mandat im 40-köpfigen Stadtparlament vertreten ist.

Trennung durch Konfrontation

Seitdem die Koalition in Innsbruck feststeht, gehen die Wogen in der Tiroler Volkspartei hoch. Die Mitglieder, die auch Für Innsbruck angehören, wurden aus den Leitungsgremien geworfen, offiziell werden sie nun nicht mehr eingeladen - so auch Oppitz-Plörer. "Wenn man gegen die ÖVP koaliert, dann kann man nicht mehr gleichzeitig in Leitungsgremien der ÖVP sein", sagt der Innsbrucker Stadtparteiobmann der ÖVP, Franz X. Gruber.

Parteifreunde werfen Oppitz-Plörer ein linkes Bündnis vor - und befürchten eine Signalwirkung für die Landtagswahl im kommenden Jahr. Ein Gespenst geht um in Tirol, das Gespenst einer neuen bürgerlichen Partei.

Doch der Bruch erfolgte nicht überraschend. Schon im Wahlkampf separierten sich die bürgerlichen Listen zunehmend. Es war ein Bruch mit Ansage. Persönliche Angriffe, Vorwürfe an die Landesregierung und an Oppitz-Plörer wurden ausgetauscht, ein Überraschungsspitzenkandidat bei der Volkspartei installiert, durch Konfrontation erfolgte die Trennung.

Wertkonservativ und wertoffen

Der Politologe Ferdinand Karlhofer, Vorstand des Instituts für Politikwissenschaft der Uni Innsbruck, sagt: "Was Innsbruck betrifft, ist es eindeutig ein Bruch." Es sei eine Auseinandersetzung zwischen einem "wertkonservativen" und einem "wertoffenen" Teil der Volkspartei gewesen.

Zwei Flügel der Partei, verpackt in zwei Listen.

Die Parallelwelt von Innsbruck

"Die Parallelwelten in Innsbruck haben immer gut funktioniert, weil wir einen eigenen Kosmos gehabt haben. Diesen gemeinsamen Kosmos gibt es nicht mehr", beschreibt Franz X. Gruber die Entwicklung. Gruber sitzt im Büro des Vizebürgermeisters. Diese Funktion übte er bis zur Wahl aus.

Nun stapeln sich im Innsbrucker Stadtturm, gleich neben dem Goldenen Dachl, die Kartons. Gruber muss das Büro räumen. Künftig wird er so wie sein Spitzenkandidat Christoph Platzgummer Stadtrat in der nach dem Proporz erstellten Stadtregierung sein - allerdings ohne Amtsführung und in der Opposition. Eine ungewohnte Rolle für einen Tiroler ÖVPler. Tief sitzt die Verbitterung über die eigene Parteikollegin.

"Getrennt schlagen"

"Es war ein 'Sündenfall' in Innsbruck. Es ist der Bruch dessen, was an Konsens immer da war", sagt Gruber im Gespräch mit derStandard.at. Die bürgerlichen Parteien gehen nun ihre eigenen Wege.

"Bis jetzt haben die ÖVP und Für Innsbruck für sich in Anspruch genommen: Getrennt kämpfen, vereint schlagen. Jetzt heißt es auch, getrennt schlagen", beschreibt der grüne Landtagsabgeordnete Gebi Mair die Situation.

"Geschickter Schachzug" und eine "Katastrophe"

Schon im Wahlkampf hegte Oppitz-Plörer Sympathien für die Grünen. Nach der Gemeinderatswahl und dem ersten Durchgang der Bürgermeister-Direktwahl legte sie sich - nach kurzem Zögern - fest: Der nächsten Stadtregierung würden die Grünen angehören. In der Stichwahl zwischen zwei konservativen Kandidaten - Platzgummer schaffte es in den zweiten Durchgang - die drittstärkste Fraktion auf ihrer Seite zu haben brachte Oppitz-Plörer entscheidende Stimmen. Sie siegte mit mehr als zehn Prozentpunkten Vorsprung - und ist direkt gewählte Bürgermeisterin.

"Die Ansage von Oppitz-Plörer war ein ausgesprochen geschickter Schachzug, damit hat sie die Wählerschaft einer weiteren Nicht-ÖVP-Partei ansprechen können. Die wussten, wenn Oppitz-Plörer gewinnt, dann werden die Grünen in der Stadtregierung amtsführend sein", sagt Karlhofer.

Auch Gruber attestiert der Ansage politisches Geschick. Aber: "Inhaltlich halte ich es für unsere Wertegemeinschaft für eine Katastrophe."

Flügelkämpfe

Flügelkämpfe gibt es in allen Parteien - umso mehr, je umfassender ihr Machtanspruch ist. In Tirol werden diese auf regionaler Ebene oft durch eine Vielzahl von Listen ausgetragen. Anstatt sich innerhalb der Volkspartei auf eine Linie zu einigen, tritt man mit mehreren Listen an - entweder als Namensliste oder mit einer Bezeichnung, die nur schwer an die ÖVP erinnern lässt.

Gekoppelte Liste

Begünstigt wird diese Entwicklung jedoch auch durch das Wahlrecht in Tirol. Durch das sogenannte Koppeln können getrennte Listen überzählige Stimmen bündeln und so dafür sorgen, dass das eine oder andere Mandat mit vereinten Kräften erreicht wird. Fehlen Liste X zum Erreichen eines Mandats ein paar Stimmen, die Liste Y noch überhat, so können die Stimmen zusammengezählt werden, wenn sich die Listen koppeln.

"Innerparteiliche Rivalitäten werden oft über eigene Listen ausgetragen, die dann nicht mehr koppeln. Die ÖVP hat oft ihre liebe Not, ihre Schafe zu zählen und zu sagen, wer wirklich noch der ÖVP angehört und welche Listen sich längst verselbstständigt haben", sagt Karlhofer.

Affront eines "Kronprinzen"

Dem Bruch in Innsbruck gingen auch massive Bewegungen zwischen Für Innsbruck und der Volkspartei voraus. Oppitz-Plörer gelang es in weit geringerem Ausmaß, die Bünde der Volkspartei hinter sich zu bringen, der als eigene Liste kandidierende Seniorenbund koppelte diesmal mit der ÖVP. Diese Bewegung der Bünde hin zur Volkspartei wirkte sich auch auf das Gemeinderatswahlergebnis aus. Für Innsbruck verlor Stimmen, die ÖVP wurde stimmenstärkste Partei.

Der eigentliche Bruch erfolgte jedoch entlang der Frage, wer in Innsbruck künftig den Bürgermeister stellen sollte. Der regierenden Oppitz-Plörer wurde ein überraschender Gegenkandidat von der ÖVP entgegengestellt: Christoph Platzgummer, einst selbst bei Für Innsbruck, ehemaliger Vizebürgermeister und "Kronprinz" von Hilde Zach. Nach einer Affäre um die Fußball-Europameisterschaft 2008 nahm er die politische Verantwortung und ging. Erklärtes Ziel der ÖVP war nun, die eigene Parteifreundin aus dem Rathaus zu jagen. "Diese Entscheidung musste Oppitz-Plörer als Affront verstehen", sagt Karlhofer.

Wenige Tage vor der Präsentation und Rückkehr von Platzgummer war ÖVP-Stadtparteiobmann Franz X. Gruber noch als Spitzenkandidat auf den Plakaten affichiert. Dann folgte der Wechsel zu Platzgummer. "Es ist oft gemeint worden, dass das ein Schachzug der Landespartei war. Das war nicht so. Das war meine Idee", sagt Gruber. "Ich bin bekannt dafür, dass ich Dinge sehr autonom mache. Natürlich haben wir den Landeshauptmann einbezogen. Platzgummer ist ein Zugpferd, er hat auch der Partei sicher drei bis vier Prozent gebracht."

In jedem Fall wurde der Wahlkampf dadurch härter.

"Man hat uns ausgegrenzt"

Nach der Wahl folgten die Verhandlungen - auch unter Einbindung der ÖVP. Oppitz-Plörer wollte ein möglichst breites Bündnis. Die ÖVP verhandelte lange mit, "aber man hat uns ausgegrenzt", so Gruber. Bei einer zentralen Forderung der ÖVP - der Erweiterung des Stadtsenats auf neun Mitglieder - wollte Oppitz-Plörer nicht mitmachen. Die ÖVP argumentiert, dass die Erhöhung das Wahlergebnis besser widergespiegelt hätte, Oppitz-Plörer betont: "Die Stadt wird mit sieben Senatsmitgliedern gut geführt." Man wurde sich nicht einig. Die ÖVP ging in Opposition.

"Sie hat uns ein Angebot gemacht, das wir nicht annehmen haben können", sagt Gruber. Vor allem die Grünen hätten sich durchgesetzt. "Inhaltlich geht das Programm in eine linke Richtung. In Wahrheit ist Innsbruck eine bürgerliche Stadt, und die Stadtregierung ist jetzt links."

"Das geht jetzt"

Klare Gewinner der Koalitionsverhandlungen sind die Grünen: "Wir sind dagesessen und haben uns gedacht, das ist sensationell. Wir sind mit unserem Wahlprogramm hineingegangen und wir haben sehr wenig aufgeben müssen. Es gibt Dinge, die nie gegangen sind, wie zum Beispiel die Offenlegung von allen Subventionen der Stadt. Das geht jetzt", schildert Mair die Koalitionsverhandlungen.

Das nun beschlossene Arbeitsprogramm überrascht tatsächlich. Erhöhte Bürgerbeteiligung, Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs, Open-Data-Projekte, Offenlegung der Subventionen, die Schaffung einer Gesamtschule an einem Modellstandort - nur ein paar Punkte die auch in einer rot-grünen Regierung zu finden sein könnten.

Neue Liste

Die Wahl in Innsbruck zeigt ein Problem der Tiroler ÖVP: Sie bekommt ihre Flügel nicht in den Griff. Immer wieder taucht das Gerücht einer neuen Liste auf, die bei der kommenden Landtagswahl 2013 kandidieren könnte. Nach der Liste von Fritz Dinkhauser im Jahr 2008 wäre es für die Volkspartei die zweite Gruppierung, die sie massiv Stimmen kosten könnte - und die aus ihren eigenen Reihen käme.

"Sollte sich noch eine weitere aus der ÖVP hervorgehende Partei finden - es ist eine Wirtschaftspartei im Gespräch -, dann wäre das für die Parteiführung eine nicht gerade angenehme Situation", skizziert Karlhofer ein mögliches Antreten.

"Denkmöglichkeit jenseits der ÖVP"

Neue Parteien jenseits der ÖVP bedeuten neue Optionen, aber auch neue Konkurrenz. "Was ins Wanken kommt, ist, dass es die ÖVP plus jemand anderen gibt. Plötzlich gibt es in Tirol eine Denkmöglichkeit jenseits der ÖVP", sagt Mair. Aber: "Wenn es eine liberale ÖVP gibt, dann wird es auch Menschen geben, die zurzeit bei den Grünen sind und dann dorthin wechseln."

Auch bundesweit sind neue bürgerliche Gruppen im Gespräch - nicht zuletzt das Engagement von Frank Stronach. Der Politologe Karlhofer erwartet aber keine Entwicklung aus Tirol heraus für den Bund: "Ich sehe keinen Signalcharakter, der von Tirol ausgeht. Eher ist zu erwarten, dass eine Piratenpartei oder neue Parteitypen das Spektrum erweitern", sagt Karlhofer.

"Dazu ist alles gesagt"

Oppitz-Plörer wollte sich im Gespräch mit derStandard.at nur so weit und so vage äußern: "Es hat sich gezeigt, dass in Tirol - ich weiß nicht, ob das etwas mit Andreas Hofer zu tun hat - die Bürgerbewegungen immer einen starken Boden haben." Sie selbst wolle in der Kommunalpolitik bleiben.

Wie angespannt die Situation in der Volkspartei ist, zeigt auch die Verschlossenheit der obersten Führungsperson. Günther Platter macht bewegte Zeiten mit. Ein Landesrat musste gehen, er selbst steht wegen Jagdeinladungen in der Kritik, zuletzt fiel er überregional dadurch auf, dass er den Fußballer David Alaba bei einem Besuch beim Trainingslager des Nationalteams auf Englisch ansprach. Der Landeshauptmann kann gerade in solchen Zeiten keine Unruhe brauchen. Auf das Wahlergebnis in Innsbruck am Rande einer Pressekonferenz von derStandard.at angesprochen, sagte Platter: "Dazu ist alles gesagt."

Zumindest bis zur Landtagswahl 2013. (Sebastian Pumberger, derStandard.at, 1.6.2012)