Thomas Knüwer: Unternehmen "schreien ihre Kunden an im Sinne von 'Kauf mich, ich bin das Coolste, das Beste'".

Foto: Jana Madzigon/PRVA

Als "scharfzüngiger Alpha-Blogger" wurde Thomas Knüwer von PRVA-Präsidentin Ingrid Vogl beim PR-Tag 2012 am Donnerstag in Wien vorgestellt. Knüwer ist Gründer der digitalen Strategieberatung kpunktnull und Betreiber des Blogs "Indiskretion Ehrensache". Der frühere "Handelsblatt"-Redakteur will in der Keynote aus strategischer Perspektive erzählen, was man in der neuen Medienwelt bewirken kann.

Fette Kinder, fette Nerds und Kommunisten

Im deutschsprachigen Raum gebe es nach wie vor das Problem, dass Politiker oder auch Menschen aus der Wirtschaft glauben, das Internet werde von drei Gruppen bevölkert, so Knüwer: "Fette Kinder, fette Nerds und Kommunisten", Stichwort Gratiskultur, "und die dürfen auch schlank sein". Tatsächlich sei es natürlich die Bevölkerung, und dort, wo die Bevölkerung sei, dort müssen die Unternehmer auch hin. 

In einem Punkt bewirke Social Media tatsächlich eine Revolution, sagt Knüwer: "In der Mediengeschichte gab es immer die Trennung zwischen Sendungsmedien - Radio, TV, Zeitung - und Kommunikationsmedien wie dem Telefon, das aber immer beschränkt auf eins zu eins oder wenige zu wenige ist."

"Schwache Verbindungen" aufrechterhalten

Social Media sei tatsächlich die erste Technologie in der Geschichte der Menschheit, die diese Grenze überspringe. Knüwer: "Egal ob Sie senden oder zuhören wollen, diese Dienste passen sich an. Und das verändert etwas. Zum ersten Mal sind wir in der Lage, auch 'schwache Verbindungen' aufrechtzuerhalten." Heute könne man alle Menschen, die sich für einen interessieren, ganz entspannt auf dem Laufenden halten - im Gegensatz zu den früher beliebten Brieffreundschaften, die dann Schritt für Schritt eingeschlafen sind.

Dieses Aufrechterhalten der "schwachen Verbindungen" bringe etwas. Als Beispiel bringt Knüwer seine Twitterfrage nach Hotels mit WLAN in Magdeburg, die schnell gewünschte Tipps lieferte, und eine Spendenaktion für eine Familie, deren Wohnung abgebrannt war. "Und in Nordafrika lieferte Social Media die Instrumente, um die Revolution einfacher zu machen."

Unternehmen als Sendungsmedien

Unternehmen würden sich mit Social Media oft schwertun, weil sie sich nach wie vor als Sendungsmedien sehen. Knüwer: "Sie schreien ihre Kunden an im Sinne von 'Kauf mich, ich bin das Coolste, das Beste', also rein sendende Werbung. Und am liebsten tun sie das noch im TV." Als Rückkanal werde dann das Callcenter angeboten, aber wer ruft dort an?. "Die, die wütend genug, dumm genug oder verzweifelt genug sind", sagt Knüwer. Und so würden Unternehmen nur das zurückgespielt bekommen, was diese Verwzeifelten, Dummen und Wütenden über sie denken. "Darum glauben Unternehmen, in Social Media seien alle gegen sie."

Haltung gegenüber Marken

Derzeit werde die Entwicklung im Internet nicht von den ganz Jungen getrieben, sondern von den Menschen zwischen 30 und Mitte 40, meint Knüwer: "Diese Generation ist mit Computern groß geworden - Pong, Atari, Commodore, PC, Internet." Und diese Generation sei auch die erste gewesen, die Werbung cool fand. Knüwer: "Man schaute sich die Cannes-Rolle im Kino an."

Grundsätzlich gebe es also eine positive Haltung gegenüber Marken. Aber natürlich sei da auch auch die andere Seite der Wahrnehmung. Er zitiert aus einem Kommentar in einem Vodafone-Blog: "Wir (Generation C64, 'Generation Upload', Generation was weiß ich, die mit den Computern halt) sind einfach etwas anders sozialisiert worden. Wir hassen Werbung, alle. Wir hassen PR-Geblubber. Wir hassen diese ganze Scheiße, mit der wir seit unserer Kindheit zugedröhnt wurden."

Medienkritiker und Medienerzeuger

Diese Generation sei auch die Generation der Medienkritiker. Die klassischen Medien werden heftig kritisiert und immer weniger konsumiert. Knüwer: "Diese Generation liebt es, sich mit Medien auseinanderzusetzen. Es ist normal geworden, die neuen Kommunikationsmöglichkeiten in Social Media zu nutzen, um sich über Medien lustig zu machen."

Die heutigen Jugendlichen werden die Kommunikation der Unternehmen nochmals verändern, ist er überzeugt. Diese junge Generation habe eine andere Wertehandlung. Offene Kommunikation sei für sie der wichtigste Wert. Knüwer: "Das ist die Generation der Medienmacher. Sie können Medien produzieren und veröffentlichen - und tun das schon im Teeanageralter." Und diese Generation habe ihre eigene Nachrichtenquelle, Freunde seien der wichtigste Nachrichtenfilter.

Als Beispiel kommt hier "Herr Tutorial" ins Spiel, seine Youtube-Videos kommen auf rund 268.000 Abonnenten. Und was hat das für eine Wirkung? Als Beispiel bringt Knüwer die ACTA-Demos in Deutschland. Führende deutsche Videoblogger hatten sich des Themas angenommen, was zu einem massiven Anstieg der Teilnehmerzahl der Demo führte. Auch Herr Tutorial hat auf das Thema aufmerksam gemacht.

Einfluss und Nachricht

Knüwer: "Einfluss und Nachricht verschieben sich. Eine Nachricht ist das, was mich interessiert." Man könne sich heute unter kompletter Umgehung von klassischen Nachrichten informieren. Und die neuen Einflussnehmer würden natürlich die Art und Weise verändern, wie Unternehmen kommunizieren.

"Heute wollen die meisten Unternehmer die Journalisten erreichen. Aber warum will man die Journalisten noch erreichen, man kann es auch viel direkter machen", fragt er und zitiert Rupert Murdoch, der dazu sagt: "Media companies don't control the conversation any more." Oder, wie es der US-Professor Clay Shirky ausdrückt: "Publishing isn't a job anymore, it's a button."

Kunden ernst nehmen

Die Facebook-Frage "What's on your mind?" sei für Unternehmen das größte Problem derzeit. Knüwer bringt Bahlsen als Negativbeispiel, das auf Facebook Postings absendet, die etwa so lauten: "Montags Cookies naschen, dienstags ABC Russisch Brot knuspern, mittwochs Comtess genießen ... Habt ihr schon Pläne für die Woche? :)". Knüwer: "So reden Sie mit einem dreijährigen Kind, aber man muss die Kunden ernst nehmen."

Als positiv hingegen sieht er den Twitter-Auftritt der dm-Marke Alverde oder auch der Deutschen Telekom. Dort würde man auf Twitter derzeit das beste Service bekommen. Hier gehe es nicht um Werbebotschaften, sondern um Customer Care, die über Twitter auch kostengünstiger sein könne als über ein Callcenter.

Marke als Medium

Es stelle sich auch die Frage, warum eine Marke kein Medium werden soll. Die meisten Homepages hätten "homöopathische Zugriffe im Vergleich zu Blogs", sagt Knüwer. Er selbst war am Relaunch der Schwarzkopf-Homepage beteiligt, die jetzt hauptsächlich aus redaktionellen Artikeln besteht. Knüwer: "Menschen interessieren sich für Lösungen, nicht für Marken." Die Nutzung der Seite habe sich innerhalb eines Jahres verzwanzigfacht, Artikel würden verlinkt, was freilich auch zu einem guten Ranking bei Google-Suchabfragen zum Thema führt.

Wenn man zu einem Medium geworden ist, könne man auch ganz anders reagieren. Knüwers Beispiel dafür: Der Blog keksblog.com der Firma Hans Freitag. Hier wurde per Blogeintrag auf einen negativen bild.de-Bericht zu Mogelpackungen reagiert. Knüwer: "Man baut eine ganz neue Bindung zu seinen Kunden auf. Und kann so kommunizieren, ohne teure Werbung zu machen." (ae, derStandard.at, 1.6.2012)