Unaufhaltsam dringt die westliche Lebensweise nach China vor. Im Webwörterbuch www.leo.org bin ich kürzlich auf die chinesische Übersetzung des Wortes "Leberkäse" gestoßen, welche da lautet: yòng zhuròu huò niúròu jí nèizàng hùnhé chéng de jian-ròubÐng. Klingt langwierig. Wenn der Fleischhauer in Schanghai nachfragt, ob man seine yòng zhuròu huò niúròu jí nèizàng hùnhé chéng de jianròubÐng-Semmel lieber mit normalem oder Käseleberkäse hätte, kann sich die Bestellung gut und gern über den halben Vormittag hinziehen.

Dennoch ist der rostrote Geselle in China beliebt, genauso wie in Österreich. Kein Wunder: Der Leberkäse ist das ernährungsphysiologische Missing Link zwischen Frühstück, Mittag- und Abendessen. Er ermöglicht es, metabolische Mangelzustände wie ein akutes Mundhöhlenvakuum oder einen plötzlichen Abfall der Blutfette schnell und preiswert zu beheben.

Leberkäs ist praktisch: Einfach eine Scheibe zwischen zwei Semmelhälften bugsieren und im Gehen, beim Joggen, Kraulen oder Paragliden schnabulieren. Kraft seiner leichten Transportierbarkeit ist der Leberkäse zu einem Eckstein der ambulanten Verköstigung geworden. Er unterscheidet sich darin von Speisen, die sich weit schwieriger im Gehen verkasematuckeln lassen (Gulaschsuppen, Cremetorten, Schweinsstelzen etc.).

Auch sozial hat der Leberkäse Vorteile. Wer auf offener Straße beim Benagen einer Schweinsstelze betreten wird, erweckt leicht den Eindruck einer latenten Gefräßigkeit. Wird nur eine Leberkässemmel benagt, so kann man diesen Eindruck leicht mit einer Notlüge verwischen ("Einmal im Monat brauch ich das einfach"). Zweiter Vorteil ist die relative Bruchsicherheit. Anders als ein zu Boden gefallenes Stück Cremetorte, das man mühsam zusammenkratzen muss, lässt sich eine Leberkässemmel ohne viel Aufwand aufheben, zusammensetzen und weiterverzehren.

Laut dem jüngsten Leberkäs-Index der WHO ist die Leberkäseversorgung in Österreich an sich tadellos (Platz zwei hinter Bayern). Lediglich in entlegenen Gegenden (Pitztal) kommt es gelegentlich zu Leberkäsengpässen. Die WHO empfiehlt dann den Einsatz ferngesteuerter Leberkäsdrohnen, von denen man sich eine Scheibe abschneiden kann. Ist auch eine entzückende zeitgemäße Adaption der alten Schlaraffenland-Gänse, die einem gebraten ins Maul fliegen. (Christoph Winder, Album, DER STANDARD, 2./3.6.2012)