Wolfgang Schüssel darf sich freuen. Sein ehemaliger Koalitionspartner lobt sein Lob für den ungarischen Premier Viktor Orbán. Zwei FPÖ-Nationalratsabgeordnete finden es ganz toll, dass der Ex-Kanzler in Budapest die Politik Orbáns als Beispiel eines "neuen, modernen, besonnenen Patriotismus" gewürdigt hat.

Weniger toll finden den "modernen Patriotismus" nicht nur die direkt Betroffenen der Machtpolitik, die Orbán unter Berufung auf seine parlamentarische Zweidrittelmehrheit betreibt. Wenn diese so "tolerant und großzügig" (Schüssel) erfolgt und wenn Orbáns Wirtschaftspolitik so erfolgreich ist, warum verliert die Regierung dann neuen Umfragen zufolge stark an Rückhalt in der Bevölkerung?

Und dass Ungarn umstrittene Gesetze in den Bereichen Medien, Justiz, Datenschutz, Nationalbank-Unabhängigkeit "freiwillig" (Schüssel) repariert, ist schlicht unwahr. Orbán selbst hat betont, man beuge sich Brüssels Druck.

In der Europapartei ÖVP selbst ist die Begeisterung für Schüssels magyarische Elogen denn auch enden wollend. Wirtschaftsminister Reinhold Mitterlehner etwa verwies auf das Vorgehen der Orbán-Regierung gegen die Niederlassungen österreichischer Firmen in Ungarn.

Die Motive Schüssels, der einmal Anwärter auf den EU-Kommissionsvorsitz war, bleiben im Dunkeln. Klar ist nur, dass sein Orbán-Lob just zu einem Zeitpunkt kommt, da die Kritik aus der EU Wirkung zu zeigen beginnt. (Josef Kirchengast, DER STANDARD, 2.6.2012)