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Drastische Sprache: UN-Botschafterin Susan Rice gilt als eine der engsten Vertrauten Barack Obamas.

Foto: APA/EPA/Lane

Wenn Susan Rice spricht, spricht indirekt auch Barack Obama. Kein Ressortchef, kein Spitzenberater, wissen Insider in Washington, teilt die Weltsicht des Präsidenten so sehr wie sie, die UN-Botschafterin mit höheren Ambitionen. Wenn Hillary Clinton nach vier Amtsjahren ihren Sessel im State Department räumt, könnte Rice Außenministerin werden, immer vorausgesetzt, Obama wird wiedergewählt.

Zunächst einmal sorgt sie für Furore, weil sie das Worst-Case-Szenario in Syrien so deutlich skizziert, wie es sich kein anderer im Umfeld des Oval Office getraut hatte. "Die Gewalt eskaliert, der Konflikt weitet sich aus, er greift auf andere Länder der Region über und nimmt zunehmend konfessionelle Formen an", doziert Rice. Damit wäre es nicht mehr nur eine syrische Krise, sondern eine des gesamten Nahen Ostens. Der Friedensplan Kofi Annans wäre vollends Makulatur, von allen Seiten würden Waffen nach Syrien fließen, die Folge wäre ein Stellvertreterkrieg unter Beteiligung sämtlicher Akteure der Region.

Am Potomac gibt es niemanden, der Rice widersprechen würde. Dass das Worst-Case-Szenario von allen das wahrscheinlichste ist, daran zweifeln weder Republikaner noch Demokraten. Doch die Schärfe der Analyse mischt sich mit altbekannter Skepsis: Nur fünf Monate nach dem Abzug der letzten GIs aus dem Irak stößt allein der Gedanke an eine neuerliche Invasion im Vorderen Orient auf eine enorme Hemmschwelle.

"Wir sind nicht einmal in der Nähe einer Koalition, die den Schmerz des syrischen Volkes lindern könnte", sagt Hillary Clinton, gleichsam stellvertretend für die realpolitische Schule. Solange Russland an Bashar al-Assad festhält, heißt es im Klartext, sind den USA die Hände gebunden. Ein amerikanischer Alleingang steht nicht zur Debatte, zu eindeutig hat sich Obama auf multilaterale Aktionen festgelegt, vorzugsweise unter dem Dach der Uno.

Fast täglich wiederholt Präsidentensprecher Jay Carney denn auch drei Schlüsselworte: "friedlicher politischer Übergang". Mithilfe des russischen Staatschefs Wladimir Putin soll Assad aus dem Amt gedrängt werden, ohne dass unberechenbare Islamisten das Ruder übernehmen. Dies ist der Kern des Konzepts, doch auch Carney räumt ein: "Das Zeitfenster für eine friedliche, geordnete Lösung steht nicht ewig offen."

Mitt Romney wiederum nutzt die Bilder syrischer Massaker, um Obama eklatante Führungsschwäche zu unterstellen. "Die Welt wartet auf Amerika, und wir sitzen da mit verschränkten Armen, darauf wartend, dass sich die Dinge so arrangieren lassen, dass sie der Welt gefallen", stichelt der republikanische Herausforderer des Amtsinhabers. John McCain, 2008 der Rivale Obamas, vergleicht Syrien bereits seit Monaten mit dem Bosnien der 1990er-Jahre, Städte wie Homs und Hama mit Sarajevo und Srebrenica.

Und nach dem schockierenden Blutbad von Houla, das ist das eigentlich Neue, werden auch bei den Demokraten Stimmen für ein rasches Eingreifen laut. Keith Ellison, der erste Muslim, der den Sprung in den US-Kongress schaffte, verlangt als Erstes bewaffneten Schutz für einen "sicheren Hafen" an der türkischen Grenze, um vertriebenen Syrern eine Zuflucht im eigenen Land zu bieten. Es müsse sofort etwas geschehen: "Es einfach auszusitzen ist keine Option." (Frank Herrmann aus Washington/DER STANDARD, 2.6.2012)