Wien - Davon, dass ihm Frankreichs neuer Präsident Francois Hollande wirtschaftspolitisch näher stehen könnte als die konservative deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel, könne keine Rede sein, stelle Vizekanzler und Außenminister Michael Spindelegger (V) am Sonntag in der ORF-"Pressestunde" klar. "Ich bin immer noch ein Merkel-Fan", outete er sich als glühender Anhänger der Kanzlerin. "Ich glaube, sie ist nach wie vor nicht nur eine toughe, sondern auch eine sehr kluge Politikerin und ich bin froh, dass sie auch die österreichischen Steuerzahler am Tisch in Brüssel ordentlich vertritt."

"Die Finanztransaktionssteuer ist nicht nur eine linke Position", sagte Spindelegger. Es sei eine Fehlentwicklung, wenn die Wirtschaft nicht mehr genug Geld bekomme, weil stattdessen in einträglichere Finanzprodukte investiert werde, so der Minister. Die Finanztransaktionssteuer, die laut Plan im Jahr 2014 wirksam werden soll, werde einen Lenkungseffekt bewirken, hofft Spindelegger. Es sei daher schwer abzuschätzen, wie viel sie einbringen werde, ob 50 oder 100 Mrd. Euro.

Im Zusammenhang mit der ÖIAG bekräftigte Spindelegger, dass die ÖVP dafür sei, Unternehmen möglichst privat zu führen. Privatisierungen seien aber mit der SPÖ nicht machbar, darum werde es die ÖIAG weiter geben. Er sei für ein Konzept, wonach weitere Anteile des Bundes von dort aus geführt werden. Das werde aber Thema für die nächste Legislaturperiode sein.

"Europäischer Währungsfonds"

Spindelegger geht davon aus, dass es den Euro weiter geben wird. Die Eurozone könnte auch ohne Griechenland weiter bestehen, betonte der Außenminister, und man müsse auch alles für die Erhaltung des Euro tun. Eine Studie des deutschen Finanzministeriums habe ergeben, dass in Österreich ansonsten die Arbeitslosigkeit um 9 Prozent steigen und die Wirtschaftsleistung um ein Zehntel sinken würde.

Der ÖVP-Chef hofft, dass der Europäische Stabilitätsmechanismus (ESM) nächste Woche im Nationalrat - abgestimmt wird am Mittwoch - beschlossen werden kann. Der ESM sei ein "europäischer Währungsfonds", so Spindelegger, "de facto ist das ein Rettungsschirm für alle Problemkinder".

Keinen Zweifel ließ Spindelegger daran, dass die EU-Mitgliedsländer künftig Kompetenzen an Brüssel abgeben sollten. "Man kann nicht eine gemeinsame Währung machen ohne eine gemeinsame Währungspolitik zu betreiben." Es brauche in Brüssel einen Finanzkommissar, der auf die Währung schaut, der mehr Rechte bekommt. Der Außenminister sprach sich für eine "Stabilitätsunion" aus. Er sei weder für Vereinigte Staaten Europa noch für einen Bundesstaat, beides seien alte Begriffe, mit denen man etwas verbinde. Das wolle er nicht für Österreich. "Ich will etwas ganze Eigenes, eine europäische Union, die eine Stabilitätsunion ist", so der Minister. Aber "Österreich bleibt ein Land, das von Wien aus regiert wird".

Es gelte etwa gegenüber China und Indien stärker im Wettbewerb aufzutreten. "Dazu braucht es eine stärkere Position in Brüssel, ein Regierungschef, der direkt gewählt wird." Bei Sozialpolitik gebe es große Spielräume, er wolle diese nicht Dänemark oder Zypern anpassen, aber dort wo man etwas entscheiden müsse, brauche man ein Durchgriffsrecht.

"Generalüberholung"

Bereits vor einigen Tagen in Brüssel hatte Spindelegger gemeint: "Ich bin sehr dafür, dass wir diskutieren über Möglichkeiten der direkten Mitbestimmung durch die Wahl des Kommissionspräsidenten bei der Europawahl, weil der dann eine andere Position hat, wenn er von den Bürgern direkt gewählt ist und damit stark ist." Auch der EU-Währungskommissar sollte mehr Kompetenzen bekommen, sagte Spindelegger damals.

Beim EU-Gipfel habe es einen großen Fortschritt gegeben, "dass wir sagen, wir brauchen die Generalüberholung, wir müssen die Bevölkerung während dieses Prozesses voll mitnehmen", sagte der Minister am Sonntag. So sei etwa mit "Town-Hall-Meetings" begonnen worden. Diese heiße es fortzusetzen, solange bis es einen neuen Vertragstext gebe, so der Vizekanzler. Viele Bürger würden Begriffe wie ESM und Fiskalpakt nicht mehr verstehen.

"Die Bevölkerung sollte in Konvent eingebunden werden, am Schluss bin ich für eine Volksabstimmung, ich glaube, dass können wir sonst nicht verantworten." Eine europäische Volksabstimmung "wäre wünschenswert", sei aber erst nach einer Vertragsänderung machbar. (APA, 1.7.2012)