STANDARD: Ein EU-Staat nach dem anderen ratifiziert den Fiskalpakt. Ein gutes Zeichen?

Wolfgang Franz: Es ist ein ermutigendes Zeichen, dass Haushaltskonsolidierung ernst genommen wird. Denn wir wissen, dass ein nachhaltiges Wachstum bei unsoliden öffentlichen Finanzen nicht möglich ist.

STANDARD: Besteht nicht die Gefahr, dass sich Europa kaputtspart?

Franz: Der Fiskalpakt schließt ja nicht aus, dass einzelne Länder weiterhin nach ihren Präferenzen Staatsausgaben tätigen, bestimmte Ausgaben vielleicht sogar erhöhen. Aber sie müssen dann gleichzeitig woanders einsparen oder für höhere Einnahmen, etwa über Steuererhöhungen, sorgen. Die Staatstätigkeit als solche wird nicht beschränkt. Nur unsolide Finanzpolitik soll ihr Ende finden. In einer wachsenden Wirtschaft wird es weiter möglich sein, Sozialpolitik zu betreiben und Geld für Investitionen bereitzustellen.

STANDARD: Aber die Eurozone stagniert. Auch 2013, 2014 wird niedriges Wachstum prognostiziert.

Franz: In der Tat gehen die Problemländer einen schmerzhaften Weg. Vielleicht hilft der Vergleich mit einem Drogenabhängigen, der aus seiner Abhängigkeit herauskommen möchte. Die Entzugsphase ist schwierig, aber danach geht es dem Abhängigen besser. Genauso ist es für Staaten, die über ihre Verhältnisse gelebt haben, wie in Südeuropa. Es ist für diese Länder beschwerlich, Defizite abzubauen, aber haben sie das geschafft, haben sie die Fundamente für einen soliden Wachstumspfad gelegt. Am besten ist, es gar nicht zu einer Abhängigkeit kommen zu lassen. Die Funktion des Fiskalpakts liegt genau darin, schmerzhafte Anpassungsprozesse in Zukunft zu verhindern.

STANDARD: Ist der Vergleich mit den Drogensüchtigen richtig? Schulden dienen ja auch dazu, Werte wie Schulen und Straßen zu schaffen.

Franz: Daran könnte man nur denken, wenn es sich um längerfristige Investitionen beispielsweise in das Bildungssystem handelt, wovon spätere Generationen einen Nutzen haben. Dann wäre es nicht falsch, unsere Kinder und Enkel an den Kosten für diese Investitionen zu beteiligen. Aber wenn man die südeuropäischen Länder betrachtet, ist ein erheblicher Teil der Defizite nicht in wachstumsfördernde Projekte gegangen, sondern in einen überbordenden Sozialstaat oder in einen waghalsigen Immobilienboom. Für diese Fehler müssen die Südländer geradestehen, so leid mir das für die Menschen dort tut.

STANDARD: Zu hohe Ausgaben gab es in Portugal und Griechenland. Irland, Spanien und Zypern brauchen Hilfe, weil ihre Banken mit Steuergeldern gerettet werden.

Franz: In Spanien haben viele Leute auf den Immobilienboom gesetzt und können nach dem Platzen der Blase ihre Kredite nicht zurückzahlen, sodass Banken in eine Schieflage geraten sind. Eine staatliche Rettung dieser Banken treibt die Verschuldung hoch. Daraufhin verlieren Staatsanleihen an Wert, was Banken in noch größere Schwierigkeiten bringt. Neben einer Schuldenkrise haben wir es mit einer Bankenkrise zu tun. Mit den Beschlüssen des EU-Gipfels wurden sinnvolle Anläufe genommen, die nun ausgestaltet werden müssen. Man hat dafür eine Atempause gewonnen - nicht mehr, aber auch nicht weniger. (András Szigetvari, DER STANDARD, 2.7.2012)