Wien - So wie die Arbeitswoche mit ihren Anforderungen gegen Ende hin ausfranst und freitags gern kurz und casual gearbeitet wird, so lassen die Bundestheater, wenn die Hitze kommt, die Hüllen der Gattungstreue fallen und öffnen ihre Pforten für exotisches Gespiel. In der Staatsoper wird gejazzt, und im Burgtheater - das ist neu, und das soll eher Ausnahme bleiben - wird Oper gespielt. Peking-Oper, um genau zu sein.

Und so sitzt man bei Temperaturen, die man mit Pekinger Sommer in Verbindung bringen könnte, in der Burg und studiert das Wirken der Schwerkraft anhand von nackenwärts strebenden Schweißperlen auf Glatzköpfen im unmittelbaren Sichtfeld, während Gert Voss, der große, in Schanghai geborene Gert Voss, in luftigem Leinen einführend von der Kindheit in China und seinem kindlichen Erstkontakt mit der Peking-Oper erzählt, und wie ihn dann daraufhin sein erstes Theatererlebnis in Deutschland - Der gestiefelte Kater - maßlos enttäuscht hätte, weil da alles so normal und realistisch gewesen wäre.

Normal und realistisch ist in einer Peking-Oper wenig, und auch in der Produktion Red Cliff des National Center for the Performing Arts Beijing, die man hier beim Start ihrer Europatournee erlebt, ist alles in poetisch-malerischer Dekoration Dargestellte dank massiven Einsatzes von Farbe in Gesicht und Gewand, von Exaltiertheit in Mimik und Gestik, von achterbahnähnlichen Glissandofahrten der Sprachmelodie heftig, krass und überzeichnet: großartig, wie künstlich Kunst doch sein kann.

Der archaische Gestus der Schlaginstrumente und der von Blasinstrumenten gern unisono begleitete monodische Gesang ließen vermuten, dass die Peking- Oper locker 2000 Jahre Geschichte auf dem Buckel hat, tatsächlich sind es gerade einmal 200.

Gern ballert, knallt, gongt, scheppert im Orchestergraben die Schlagwerksektion drauflos, oft, um den dialogischen Fortgang zu strukturieren oder um Pointen zu unterstreichen - fast so, wie das bei deutschen Karnevalssitzungen üblich ist. Die einzige weibliche Solistin versucht ihre Singstimme mit Erfolg den schalmeienartigen Klängen der Blasinstrumente anzugleichen. In Momenten größter Emotion ähnelt ihr Timbre einem unter Hochdruck stehenden Teekessel. Schade nur, dass diese Klangvorgänge über die Maßen verstärkt werden, sodass man nach den ersten zwei Stunden dieser fantastischen Musikgeschichte über Machtgier und Kriegshändel in den Zeiten der Han-Dynastie die Unternehmung verlassen muss, um bleibende Schäden am Hörapparat zu vermeiden. Ohropax vobiscum. (Stefan Ender, DER STANDARD, 2.7.2012)