Ein Modell der Campusschule (Foto: PPAG)

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Ein weiteres Modell (Foto: PPAG)

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"Es muss nicht teurer oder größer sein. Es ist die Frage, wie ich die Flächen nutze. In Wahrheit werden derzeit in Schulen so viele Flächen nicht oder schlecht genutzt": Architektin Lilli Pschill.

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Ein sogenannter Cluster der Schule. (Foto: PPAG)

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Schematische Darstellung der Schuleinteilung. (Foto: PPAG)
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"Bei herkömmlichen Auslobungen für Schulprojekte kämpft man mit rigiden Raumprogrammen und um jeden Quadratmeter", sagt Lilli Pschill. Sie ist eine der vier Partner des Architekturbüros PPAG und sitzt vor einem Plan des neuen Bildungscampus am Areal des zukünftigen Wiener Hauptbahnhofs. Räume, Freiraumflächen, Terrassen, Fenster sind darauf zu sehen, auf Papier gedruckte Bildungsvorstellungen. 

20.000 Quadratmeter groß ist das Grundstück, das derzeit am Rande des 10. Wiener Gemeindebezirks bebaut wird. In zwei Jahren sollen hier die ersten der insgesamt 1.100 SchülerInnen einziehen; Kindergarten, Volksschule und Neue Mittelschule werden unter einem Dach zusammenfinden. Rund 170 Erwachsene werden einmal in der Schule arbeiten. Es ist das schulische Prestige-Bauprojekt der Stadt Wien. Eine betont andere Schule soll hier entstehen.

Das normale strenge Regelwerk für Schulbauten wich dabei einem "Qualitätenkatalog", der Räume und Raumzusammenhänge umschreibt und den Planern mehr Freiheiten ließ. Normalerweise sind die Möglichkeiten im Schulbau sehr beschränkt. "In diesem konkreten Fall war die Art der Aufgabenstellung für uns Planer höchst animierend", sagt Pschill. Anstatt langer, leerer Gänge soll es in der Campus-Schule vielfältige, voll nutzbare Flächen geben.

Pilotprojekt

In der Campusschule sind drei ineinander übergehende Gebäudeteile geplant. Im Juni erfolgte der Spatenstich in der Nähe der Bahnhofsbaustelle. In je einem Bauteil sollen Kindergarten, Volksschule und Neue Mittelschule untergebracht werden, in der Mitte ist ein verbindender Bauteil geplant. Es soll ein "Pilotprojekt für neue Lern- und Schulformen" sein, sagt Pschill, die gemeinsam mit Kollegen von PPAG die Schule entworfen hat. Elf Kindergartengruppen, 17 Bildungsräume für die Volksschule und 16 Bildungsräume für eine Neue Mittelschule werden gebaut.

"Viele erschrecken bei der Idee des Campusmodells wegen der Größe und hohen Zahl der Kinder an einem Ort", sagt Pschill. Die Umsetzung war eine Herausforderung, es galt, eine Struktur zu schaffen, in der man sich trotz der Größe einen ganzen Tag wohlfühlen kann und persönliche Plätze schafft. "Deswegen ist nicht ein riesiges Volumen entstanden, sondern ein kleinteiliges, zweigeschoßiges Gebäude ähnlich einem Konglomerat von mehreren Dörfern", sagt Pschill.

Je vier Bildungsräume in der Volks- und Mittelschule und drei Gruppen in den Kindergärten gruppieren sich um einen "Marktplatz" und bilden einen sogenannten "Cluster". Der Marktplatz ist sowohl als Lern- als auch als Freizeitzone geplant, die unteren Jahrgänge sollen hier auch essen. "Klassischerweise gibt es in einer Ganztagsschule Klassenräume und Freizeiträume. Eine Umschichtung und Doppelnutzung der Funktionen ermöglicht eine ganz andere Dimensionierung und Anordnung der Räume", sagt Pschill. Die Bildungsräume werden offen gestaltet - sowohl nach außen wie nach innen. Vier Meter breite verglaste Falt-Schiebetüren sollen vom Marktplatz in die Klasse führen, jede Klasse hat Zugang zu einem Garten oder einer Terrasse.

Durch diese Umstrukturierung des herkömmlichen Raumprogramms können die Bildungsräume größer ausgebildet werden, erhöhte Nischen für das Zurückziehen und Zonen für das gemeinsame Werken entstehen. Auch die Möblierung wird möglichst flexibel gestaltet werden. In jedem dieser Cluster wird es zusätzlich je einen Projektraum und ein Lehrerzimmer geben.

Neben den einzelnen Bereichen für die drei Schulformen werden Gemeinschaftsflächen wie eine Bibliothek, ein großer Turnsaal, ein Gymnastikraum und ein Mehrzwecksaal geschaffen, die von allen Kindern und Jugendlichen genutzt werden sollen. In dem Campusmodell sollen vom Baby bis zur 14-Jährigen alle in einem Haus miteinander und voneinander lernen. Die fließenden Übergänge von einer Bildungseinheit in die nächste sollen den Kindern die Schwellenangst nehmen und Synergien unterstützen.

"Freiraum ist genauso wichtig"

Bei der Planung war es den Architekten wichtig, auch den Außenraum einzubeziehen. "Freiraum ist bei einem Schulbau genauso wichtig", sagt Pschill. So wird es neben Plätzen für Freiluftklassen im Freien Aufbewahrungsgelegenheiten geben, auch Vogelhäuser sind angedacht. Der direkte Zugang zu Terrassen und Garten aus dem Klassenraum hat aber auch einen anderen Grund:

"Was beim Planen für Architekten im Schulbau maßgeblich ist, sind die erhöhten Anforderungen an den Brandschutz. Deswegen sieht man oft lange, unmöblierte Gänge. Das war uns von Anfang an ein wichtiger Generator für den Entwurfsprozess", sagt Pschill.

Durch rasche Ausgänge aus allen Räumen ins Freie sollen die Verkehrswege wohnbarer gestaltet werden. Die Architekten verzichten auf die Schaffung der größtmöglichen Grünfläche und setzen auf deren Zugänglichkeit, jeder Bildungsraum hat einen Ausgang auf eine zugeordnete Terrasse im Erdgeschoß und im Obergeschoß: "Der unmittelbare, spezielle, den Bildungsräumen zugeordnete Freiraum hat viel mehr Qualitäten", so Pschill.

Durch die Gruppierung in je vier Klassen in einer Marktplatz-Einheit ergeben sich flexible Möglichkeiten: "Es wäre naheliegend, Mehrstufenklassen anzusiedeln. Aber das ist noch nicht fix. Wir wollen Architektur anbieten, die Dinge ermöglicht", sagt Pschill.

Ungenützte Räume

Von besonderer Bedeutung wird die Auswahl der Pädagogen sein, die auf dem Campus arbeiten sollen: "Dass man auf einen Schub so viele Pädagogen findet, die das Konzept mittragen und die Räume annehmen, ist sehr wichtig. Als Planer wollen wir Räume anbieten, die ein offenes, freies Nutzen und Tun suggerieren, aber nicht aufzwingen", sagt Pschill.

In Ganztagsschulen komme den Pädagogen eine ganz andere Funktion zu, es entstehe eine andere Beziehung zwischen Schülern und Lehrern. "Deswegen war die Idee der Stadt Wien, die Räume für die Pädagogen in den Cluster einzubeziehen, so schlüssig."

Pschill hofft deswegen auf einen Modellcharakter des Bildungscampus Hauptbahnhof Wien für andere Schulneubauten. Denn starre Vorgaben und restriktive Ausschreibungen hätten bei der Planung von Schulneubauten zu einem "typologischen Entwicklungsstillstand" geführt.

Doch auch schon Erreichtes, wie bei diesem Wettbewerb, wird wieder über Bord geworfen. Erneut finden sich allzu klassische Ausschreibungen: "Das ist schon schade, dass man sich einmal etwas Neues traut und dann beim nächsten Mal kalte Füße bekommt und die Entwicklung nicht weitertreibt", sagt Pschill. Dabei sei nicht das Budget entscheidend: "Es muss nicht teurer oder größer sein. Es ist die Frage, wie ich die Flächen nutze. In Wahrheit werden derzeit in Schulen so viele Flächen nicht oder schlecht genutzt." (Sebastian Pumberger, derStandard.at, 1.8.2012)