Nicht nur aufzeigen und warten - selber reden, Konflikte riskieren, durchsetzungsfähig werden: Diese Fähigkeiten können eine größere Rolle im "wirklichen" Leben spielen als Schulnoten.

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Schuld am nicht erwünschten Ergebnis ist "der Test". Die "schiefen Ergebnisse" seien auf seine "auch genderblinden Defizite" zurückzuführen, meint stellvertretend für den feministischen Blick Lisa Nimmervoll in ihrem STANDARD-Kommentar vom 7. August.

Nun, unbestritten muss jeder Test, der Fairness für sich reklamiert, auf eventuelle Genderprobleme hin untersucht werden. So sehen das auch die Testentwickler des Medizin-Aufnahmetests (EMS) selbst und evaluieren deshalb kontinuierlich seine Vorhersagbarkeit für den Prüfungserfolg; so sieht das auch das Wissenschaftsministerium und beauftragte 2008 die Evaluation des Tests (Christiane Spiel u. a., Uni Wien) und gleich auch noch die Überprüfung der Spiel-Studie durch ein Schweizer Institut.

Das Zentrum für Testentwicklung und Diagnostik an der Universität Freiburg/Fribourg kommt zu folgendem Ergebnis: "Bisher konnte eine testbedingte Benachteiligung, die auszugleichen wäre, nicht nachgewiesen werden. [...] Es bleibt festzuhalten, dass zu Studienbeginn besagte Unterschiede (zwischen den Geschlechtern, WH) objektiv vorhanden sind. Insofern entspricht der im Test festgestellte Genderunterschied genau dem festgestellten Unterschied, und die Studienerfolgsprognose ist insgesamt richtig. [...] Ein Ausgleich wäre nur auf politischem Wege möglich. Dies wäre aber auch nicht problemlos, weil dann Fairness im Einzelfall nicht mehr gegeben wäre: Wenn die Kapazität gleich bleibt, müsste man zum Ausgleich Männer nicht zulassen, die die Prüfung laut Prognose in der Realität auch eher bewältigen würden." Entgegen der Behauptung von Magdalena Schrott von der ÖH sagt der Test also schon etwas über die Eignung zum Studium aus.

Wie der Studienkommentar klarmacht, dreht sich abermals die Diskussion nicht um Chancen-, sondern Ergebnisgleichheit. Verhandelt werden nicht vorgebliche Gender-Ungerechtigkeiten, sondern Ideologismen. Wenn die genderpolitische Vorgabe von annähernd 50:50-Ergebnissen bei Tests konsequent weitergedacht wird, dann müssten alle Tests und Lehrpläne, die unterschiedliche Begabungen erfassen, abbilden und voraussetzen, inhaltlich überarbeitet werden: Architektur (zu viel räumliches Vorstellungsvermögen), Bergbau (zu viel Statik und Physik), Elektrotechnik (zu viele Formeln), Informatik (zu viel Programmieren)... und beim EMS-AT nun eben das Zurückdrängen des "naturwissenschaftlichen Überhangs" (Nimmervoll).
Gender-Desaster erleben

Wie man vom Tunnelbauer erwarten möchte, dass sein Tunnel nicht einbricht, will man sich als zukünftiger Patient aber auch auf ein "medizinisch naturwissenschaftliches Grundverständnis" (=ein Testteil des EMS, in dem Männer konstant besser abschneiden) von angehenden Ärzten und Ärztinnen verlassen können und nicht nur auf die "hochsoziale Kern"-Kompetenz (Nimmervoll). Auf diese aber auch.

Die Behauptung, "der Test erzählt etwas über geschlechterspezifische Zuweisung durch Schule und Erziehung", ist richtig. Das tut er – und spiegelt so ein darunterliegendes Problem. 2008 erhebt die Bildungspsychologin Christiane Spiel in der fürs Wissenschaftsministerium erstellten Studie zum EMS-Test: "Frauen haben bei gleichen Schulnoten deutlich schlechtere Testleistungen, und zwar durchgängig für alle Schulnoten. Die Unterschiede sind substanziell."

Übersetzt: Nicht nur die Buben werden in ihrer Schulzeit um eine faire Bewertung betrogen, sondern vor allem die Mädchen, indem man ihnen in den zwölf Jahren bis zur Matura Leistungsqualitäten vorgaukelt, die so gar nicht bestehen. Wer jahrelang in Sicherheit gewogen wird, dass die belohnten "Mädcheneigenschaften" zum Erfolg führen, der muss annehmen, dass dies auch nach der Schule so funktionieren wird. Selbst wenn man Schulnoten vernünftigerweise nicht allzu ernst nimmt, so dämmert in ihnen bereits die Enttäuschung für die Zeit nach der Matura. Bereits für den EMS-Test fällt der "Betragensbonus" weg, und für viele Berufe entpuppt sich die jahrelange Täuschung schließlich als – jetzt tatsächliches – Gender-Desaster.

Frauenbewegte Gleichstellung meint zwar politisch-strategisch klug zu argumentieren, wenn sie die Überlegenheit von Mädchen in eh allen schulischen Belangen behauptet. Tatsächlich erweisen sie den Mädchen damit jedoch einen Bärendienst. Wer vorher viel täuscht, hat den angerichteten Schaden nachher mit viel Test-Hochrechnung und Quote zu korrigieren. Den Kollateralschaden betrogener Mädchen nimmt man dabei kühl in Kauf, gilt es doch der schwer aushaltbaren Dissonanz zu entgehen, dass sich eigene Ideologie und Realität nicht decken. Zu täuschen hat sich längerfristig aber noch nie als pädagogisch sinnvoll erwiesen.
Goschert sein

Und ja, selbstverständlich sind Frauen "intellektuell ebenso geeignet wie Männer", in manchen Bereichen besser, in anderen weniger gut – und Männer vice versa. Weil die Vorgabe aber 50:50 lautet (alle müssen alles jederzeit gleich gut können können), können sich die WächterInnen dieser undifferenzierten und de facto ungerechten Definition von Gerechtigkeit nicht zufriedengeben. Sie preisen einerseits die Überlegenheit der Mädchen, um andererseits, wenn die Ergebnisse das nicht widerspiegeln, gleich alle Ergebnisse nur aufgrund des Geschlechts aufs vorab behauptete Resultat hochzurechnen. Als langjähriger Sympathisant mit Frauenforderungen muss ich wohl zur Kenntnis nehmen, dass auch diese Revolution allmählich ihre Kinder frisst.

Aber bitte nicht gleich unsere dazu! Meine Tochter beginnt nächstes Jahr ihr Studium. Es bleibt also noch ein wenig Zeit, ihr entgegen den Botschaften sogenannter Gleichstellung zu vermitteln, eh nicht dumm zu sein.

Anstatt sich mit nachträglichen Testkorrekturen aus dem davor fabrizierten Dilemma herauszuwinden, schlage ich – neben einer endlich durchzuführenden scheuklappenfreien Analyse auch weiterer Ursachen – Chancen erhöhend vor: Goschert sein bringt weiter als Schönschrift; wer nur aufzeigt und wartet, kommt vielleicht nie dran; wer den Konflikt riskiert, ist langfristig durchsetzungsfähiger; und wer die Schuld nicht ständig bei anderen sucht, dessen Selbstbewusstsein beginnt zu wachsen. Das wird die Schulnoten zwar nicht besser machen, aber mit denen allein kommt man später ohnehin nicht weit. Auch nicht in Vorstandsetagen. (Wolfgang Hattinger, DER STANDARD, 18.8.2012)