Martí Guixés Statement "Respect cheap furniture" in einer Ausstellung der Berliner Galerie Helmrinderknecht.

Foto: Hersteller

Goldfarben, vermutlich raschelnd, sicher so dünn wie ein Windhauch: Die Casa Básica sieht aus wie eine jener Folien, die Rettungsfahrer und Medicopter-Akteure über ihren Klienten ausbreiten. Martín Azúa, der spanische Designer, hatte sie vor einige Zeit in die Tasche seiner engen Jeans gesteckt. Wenn er die Folie hervorholte, in den Wind hielt oder in die Sonne legte, dann blies und richtete sie sich von selbst auf, zu einem Wohnballon von geschätzten 20 Kubikmetern privaten Raums.

Die Rede ist im Idealfall natürlich von der spanischen Sonne, vom Wind von La Mancha. Denn irgendwie taugt Azúas wohnlicher Hausballon ja auch als Metapher für die Wechselfälle des spanischen Designs: leicht und schillernd und plötzlich ganz groß und auf jeden Fall überraschend. Mal leidenschaftlich präsent, dann von einer vorübergehenden Flaute erfasst und in sich zusammengesackt - so präsentiert sich die komplexe Designszene eines Landes, das eine schöne Kontinuität an radikalen Brüchen aufweist, aber längst auch eine stete Reihe innovativer Firmen, die dem kreativen Output ein tragfähiges Rückgrat verleihen.

Madrid, Barcelona, Valencia sind die Zentren jener Industrie, die mit ausgeprägten individuellen Handschriften schon länger vertraut ist, aber auch mit dem hochkarätigen Potenzial einer jungen spanischen Entwerfergeneration, für die große Namen wie zum Beispiel Javier Mariscal eben Legende sind. Oder wie Azúa sagt: "Beispiele, wie man es auch machen kann - aber keine Lehrer."

Supranationale Designerkollektive

Das zeugt von jenem Selbstbewusstsein, mit dem supranationale Designerkollektive mit starken Spanien-Wurzeln, etwa Cul de Sac oder Ultimo Grito, angestammte Sichtweisen hinterfragen, während sich andere spanische Entwerfer an internationalen Hotspots des Designs durchsetzen konnten oder gerade im Begriff sind, genau das zu tun: Denn was eine vielbeschäftige Patricia Urquiola in Mailand - unter anderem mit kluger Neuinterpretation textiler Strukturen - geschafft hat, das gehen aktuelle Shootingstars der internationalen Designszene eben erst an. Der in Eindhoven geschulte Nacho Carbonell oder der in London tätige Héctor Serrano lassen dabei herkömmliche Grenzen des Design-Genres hinter sich. Weiche Glühbirnen, die sich wie Schmelzkäse ziehen lassen, und wie Märchenwesen wachsende Stühle (Carbonell) ermöglichen das. Eine Leuchte mit Fischschuppen (Serrano), oder ein Kerzenhalter, der sich wie ein Degen in die Hand nehmen lässt (Diego Ramos) - da klingelt etwas, bekommen Objekte plötzlich jenes starke Eigenleben, mit dem ja auch Jaime Hayón, ein weiterer Kreativer mit ausgeprägtem Flirtpotenzial in Richtung surrealer Zwischentöne, Badewannen, Sofas, Vasen animiert.

Dass sich die letzte relevante Schau des spanischen Gegenwartsdesigns - die Wanderausstellung Bravos - just mit dem Logo einer Glühbirne mit Teufels-(oder Stier?-)Hörnern präsentierte, fügt sich da bestens ins Bild. Die lange nationale Tradition des Grafikdesigns, die Spaniens Designszene von jeher inspiriert, verweist auf dieselbe Grätsche zwischen genialem Lichtblick und kulturellem Substrat. Klar: Die wilden Tage der Movida, als Spanien, und schon gar den Katalanen, nach ewig langer Nachkriegsstarre die frische Farbe in die Glieder fuhr, und Cartoon-Möbel mit Mickey-Mouse-Schuhen in eine völlig neue Richtung spazierten - das ist lange her. Doch wer heute zusieht, wie ein Oscar Diaz Schuhbänder wie Buchstaben schnürt und wie sein "Ink Calendar" die kapillare Spannung dazu nutzt, Tinte selbstständig Kalendertage schreiben zu lassen, findet auch jetzt vom Grafikdesign inspiriertes Anschauungsmaterial genug.

Selbst das anarchisch angehauchte Moment ist geblieben. Im Falle des Martí Guixé - neben Oscar Diaz der vielleicht bekannteste, im Rahmen des Spanien-Schwerpunkts der Vienna Design Week (siehe Seite 16) vertretene Name - gilt das sogar durchaus als Markenzeichen: Exdesigner nennt er sich auf seiner sperrigen Homepage, die Klebebänder für selbstgemachte Hauruck-Fußbälle (O-Ton: "Bitte mit Sportmagazinen ausstopfen!") aufweist oder ein Food-Design-Konzept für einen Kuchen, dessen färbige Tortenstückproportionen das Verhältnis der Zutaten widerspiegeln. Auch nahrhaft: ein Alessi-Samentopf in Keramik mit Mutterbrustoptik. Mal sehen, welches spanische Designkraut da noch so sprießen wird. (Robert Haidinger, Rondo, DER STANDARD, 28.9.2012)