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Lehrer sind Menschen mit Mut, sich Unangenehmem zu stellen.

Foto: AP/MATTHIAS RIETSCHEL

Ich bin beeindruckt, als ich die Klasse betrete. Kinder aus acht Nationen, eine fröhliche Truppe. Musik steht auf dem Plan. Die Kinder singen ein Friedenslied, jede Strophe in einer anderen Sprache. Türkisch, Deutsch, Serbokroatisch. Sie singen leise, mit viel Gefühl. Hier geht es nicht darum, andere zu überschreien.

Man spürt den Stolz der SchülerInnen, die Faszination des Fremden, die Bereitschaft der Kinder, das, was sie nicht verstehen, das, was "anders" klingt, hoch zu halten. Man spürt die Achtung.

Wenig später, während der Pause. Mädchen sprechen in ihrer Muttersprache miteinander. "Wie reagieren Sie darauf?", will ich wissen. 

"Die Sprache ist Teil der Persönlichkeit", antwortet die Pädagogin prompt. "Meine SchülerInnen sprechen eben manchmal in ihrer Muttersprache. Wenn aber ein anderes Kind dazukommt und mittun möchte, rege ich an, Deutsch zu sprechen. Und begründe, erkläre. Ich will, dass die Kinder verstehen. Und dann reden wir auch in der Klassenbesprechung darüber. Über die Gefahr der Ausgrenzung von anderen durch die Sprache. Über den liebevollen Umgang mit dem Du."

Man spürt eine starke Gemeinschaft. "Wo kommt das noch her?"

"Wissen Sie, wir haben in der ersten Klasse gemeinsam Krisen durchlebt. Eines meiner Mädchen hat uns alle herausgefordert. Das Kind ist mitunter scheinbar ohne Anlass auf andere losgegangen. Manchmal auch auf mich."

"Was haben Sie getan?"

"Ich habe mich gestellt. Das Mädchen liebevoll auf meinem Schoß gehalten, bis alles gut war. Und gesprochen, mit allen SchülerInnen, immer wieder. Darüber, dass jeder von uns manchmal Verhalten zeigt, das andere nicht verstehen können. Auch die Erwachsenen, auch ich als Lehrerin. Und wir haben alle von unserem Anderssein erzählt."

Jeder ist anders, alle sind verschieden.

"Und die Eltern? Wie haben die reagiert?" 

"Manche waren besorgt, haben Angst gehabt, dass ich die Kinder nicht unter Kontrolle habe. Sie haben mir von ihren Zweifeln erzählt, ich habe zunächst nur zugehört. Alles wurde angesprochen, alles war erlaubt. Letztlich hat ein Elternabend zum Thema 'Der Wert der Krise für die Gruppe' vieles gutgemacht."

Ich schließe das Schultor und betrete wenig später die Pädagogische Hochschule Wien. In der Lehrerausbildung werden Soziales und Interkulturelles Lernen seit Jahren großgeschrieben. Und Persönlichkeitsbildung. Mit Erfolg.

Ja, das ist es, was Schule heute braucht.

Menschen, die in dem, was sie tun, nicht vom Applaus anderer abhängen. Menschen mit Mut, sich Unangenehmem zu stellen. Die auch anderen Mut machen, das, was Angst macht, anzuschauen, darüber zu sprechen.

PädagogInnen mit Persönlichkeit, die es aushalten, auch mal selbst etwas nicht zu verstehen, sich zurückzunehmen. Den Kindern Raum zu lassen. Die Achtung vor dem Du selbst leben. (Andrea Vanek-Gullner, derStandard.at, 1.10.2012)