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Eric Hobsbawm auf einem Archivbild vom Jänner 2008 - der britische Historiker war nicht nur Zeitzeuge, sondern auch brillanter Analytiker des "kurzen 20. Jahrhunderts".

Foto: APA/ROLAND SCHLAGER

London/Wien - "Gefährliche Zeiten", das war der deutsche Titel von Eric Hobsbawms 500-seitigen Erinnerungen, mit denen er vor zehn Jahren noch einmal das 20. Jahrhundert aus der Perspektive sowohl des Zeitzeugen wie auch des Zeithistorikers resümierte. So erlebte er die Machtübernahme Hitlers 1933 in Berlin - und war sich damals als 15-Jähriger völlig klar, dass man an einem historischen Wendepunkt stand, wie er sich 2008 in einem Interview mit dem STANDARD erinnerte.

Am 9. Juni 1917 im ägyptischen Alexandria als Sohn eines britisch-jüdischen Kolonialbeamten und einer Wienerin geboren, wuchs Hobsbawm in Wien auf. Nach dem Tod der Eltern kam er 1931 zu einem Onkel nach Berlin, ehe er nach der Machtübernahme der Nazis nach England ging. Dort studierte er in Cambridge, diente im Krieg in der britischen Armee und lehrte danach am Birkbeck College der Universität London. Daneben und danach hatte er zahlreiche Gastprofessuren an führenden Universitäten inne.

Zu einem der bedeutendsten Historischer weltweit wurde der überzeugte Marxist, der keine Selbstkritik scheute, aber bis zur Selbstauflösung der britischen KP 1992 Parteimitglied blieb, mit seinem vierbändigen Werk über die Zeit von 1789 bis 1992. Das "lange 19. Jahrhundert" und das "kurze 20. Jahrhundert", das er im abschließenden Band "Das Zeitalter der Extreme" analysierte, wurden zu buchstäblich epochemachenden Begriffen.

Hobsbawm beeindruckte in seinen Büchern nicht nur mit seinen souveränen und tiefgründigen Interpretationen der verworrenen Geschichte Europas der vergangenen beiden Jahrhunderte, sondern auch durch seine literarische Meisterschaft, die seine Bücher zu Standardwerken machten und neue Maßstäbe in der Geschichtswissenschaft setzten. Daneben war Hobsbawm auch als Essayist (unter anderem für das "Wiener Tagebuch") und unter dem Pseudonym Francis Newton als Jazzkritiker für die Kulturzeitschrift "New Statesman" tätig.

Auf Englisch hieß Hobsbawms Autobiografie übrigens mit dem ihm eigenen Unterstatement "Interesting Times". Der gefeierte Historiker, der es wie kaum ein Zweiter verstand, diese Zeiten spannend und interessant zu analysieren, starb 95-jährig an einer Lungenentzündung in London. (tasch, DER STANDARD, 2.10.2012)