Bild nicht mehr verfügbar.

Der britische Autor Salman Rushdie mit "Joseph Anton", seinem Buch über die schwierigen Jahre unter dem Eindruck der gegen ihn verhängten Fatwa. 

Foto: Reuters/TOBIAS SCHWARZ

Seit es das Internet gibt, haben wohl viele Menschen sich schon einmal einen neuen Namen gegeben. Dabei kommen häufig komische Kombinationen heraus: der Name der Katze und der Name der Großmutter machen nicht gerade weltliterarische Pseudonyme. Der Schriftsteller Salman Rushdie hingegen musste sich 1989 in einer extremen Situation einen neuen Namen für sich ausdenken: Ayatollah Khomeini hatte gegen ihn wegen des Romans Die Satanischen Verse eine Fatwa ausgesprochen, die ihn in eine Situation permanenter, unbestimmter Lebensgefahr brachte.

Die Personenschützer, die ihm die Behörden daraufhin zuwiesen, verlangten von ihm einen Codenamen. Und so kam das Alias Joseph Anton zustande, unter dem er die folgenden Jahre für seine unmittelbare Umgebung firmierte. Es beruht auf den Vornamen von Joseph Conrad und Anton Tschechow, den beiden Lieblingsautoren von Rushdie.

Und nun ist Joseph Anton auch der Titel des Buchs, das Rushdie über seine Jahre unter dem Druck jenes Todesurteils geschrieben hat. Es ist ein Text in der dritten Person, autobiografisch bis in viele heikle Details, aber distanziert vorgetragen wie aus der Position eines kühlen Beobachters. Am Montag hat Rushdie die deutsche Übersetzung in der Berliner Vertretung des Bertelsmann-Konzerns in Berlin präsentiert, nur wenige Tage nach der weltweit abgestimmten Veröffentlichung des 700 Seiten starken Werks, das nicht wenige Kritiker inzwischen als sein bestes bezeichnet haben - besser als der vielfach ausgezeichnete Roman Mitternachtskinder, besser auch als Die Satanischen Verse, in den Rushdie eine für viele Gläubige anstößige Gründungserzählung der Religion der Muslime hineinverwoben hatte.

Im Gespräch mit Frank Schirrmacher präsentierte der Schriftsteller sich als milde, ja nachgerade weise, in der Sache allerdings konsequent: Die Freiheit der Äußerung ist zu wichtig, als dass sie durch ein Gefühl von " Beleidigung" eingeschränkt werden dürfte: "There is no right to be offended", sagte Rushdie ausdrücklich, und rief im gleichen Atemzug in Erinnerung, dass es viele vergleichbare Fälle gab und gibt. "It's not just me." Im Rückblick auf dieses so ungewöhnliche, in vielerlei Hinsicht welthistorische Jahr 1989 wurde noch einmal deutlich, wie sehr Rushdie als Individuum zu einer Verkörperung der Konflikte der kommenden Jahre geworden war: "Wir hätten damals doch niemals gedacht, dass Religion noch einmal zu einer solchen Macht werden würde." Die Fatwa gegen seine Person verglich er mit einem Bild aus der Filmgeschichte: In Hitchcocks Die Vögel ist der tödliche Schwarm auch nicht von Beginn an zu sehen, zuerst sind es nur einzelne Tiere, von denen noch keine Gefahr auszugehen scheint. Rushdie war das Ziel des ersten Vogels, am 11. September 2001 kam der große Schwarm.

Kränkung in der Isolation

Die Jahre, die Rushdie gewissermaßen im Untergrund zubrachte, waren privat wie öffentlich ereignisreich, und all dies wird in Joseph Anton beschrieben - das Aufwachsen der beiden Söhne, von denen der eine alles mitbekam (auch die Trennung Rushdies von der Mutter, die später an Brustkrebs starb), während der kleinere sich nur daran erinnern zu können glaubt, dass der Vater im Auto bei ihm hinten saß, während er doch vorn am Steuer hätte sitzen sollen. Die Kränkungen durch feindselige Texte wie von John Berger verschweigt Rushdie ebenso nicht wie die desillusionierenden Erfahrungen mit der internationalen Politik, für die ein Zitat von Klaus Kinkel steht, dem damaligen deutschen Außenminister, der "wegen eines Einzelnen" nicht die deutsche Außenpolitik ändern wollte (die auf lukrative Beziehungen zum Iran setzte).

"Ich wurde von fremder Hand neu erfunden", fasste Rushdie die Erfahrungen jener Zeit zusammen. Heute kann er sagen, dass er daran nicht zerbrochen ist, auch nicht als Schriftsteller. "Es gab keinen Bruch in meinem Schreiben nach 1989." Er schaffte es, nicht in eine der beiden naheliegenden "Fallen" zu geraten: Weder wurde er zu einem " furchtsamen" Autor, noch zu einem, der "Rache nehmen" wollte.

Mit Joseph Anton hat er endgültig wieder die Hoheit über sich selbst zurückgewonnen. Das Buch "zerstört den dämonisierten und den idealisierten Salman Rushdie", so formulierte Rushdie es zusammenfassend. Er lebt nun wieder frei von akuter Bedrohung. Von Sicherheit kann aber keine Rede sein, woran auch Frank Schirrmacher mit seiner abschließenden Frage erinnerte: Wie müssten wir uns die Causa Rushdie im Zeitalter des Internets vorstellen? Rushdies Antwort: "Ich denke, die Sache wäre heute viel gefährlicher." (Bert Rebhandl, DER STANDARD, 2.10.2012)