Es ist eine Herkulesaufgabe, die auf die erste frei gewählte libysche Regierung zukommt: die Errichtung des Gewaltmonopols eines Staates, den es insofern noch nicht gibt, als seine Institutionen erst im Entstehen begriffen sind. Es ist ein Paradoxon: Die vielen Milizen werden sich nicht auflösen lassen, bevor es keine Einigung darauf gibt, wie der Staat aussehen wird, aber der Staat kann nicht gebaut werden, solange die Milizen mitreden - abgesehen davon, dass er einstweilen zur Wahrung der Sicherheit auf diese Milizen angewiesen ist.

Und die Regierung steht auf wackligen Beinen. Auch wenn das Abstimmungsergebnis im Parlament eindeutig war, so ist es doch getrübt durch die hohe Zahl von abwesenden Abgeordneten. Auch die Anwesenden sind unsichere Gesellen: Die politische Landschaft ist erst im Werden, die Listen, zu denen sich Parteien zusammengeschlossen haben, sind Provisorien. Und die Mehrheit der Parlamentsmitglieder sind überhaupt keinen politischen Parteien zuzuordnen, was die Allianzen umso volatiler macht.

Premier Ali Zidan hat seine Regierung auf die Basis einer "gerechten" geografischen Verteilung gestellt. Es war der einzig mögliche Ansatz: Die Städte und Stämme müssen lernen, dass nicht die Anzahl der Gewehre, die Verdienste beim Aufstand oder das Leiden in der Gaddafi-Zeit die Form des künftigen libyschen Staats bestimmen kann. Aber das ist nur die erste Lektion. (DER STANDARD, 2.11.2012)