Es knattert im Tanzquartier: "Grace Note" - eine vielschichtige Arbeit zur Zeit.

Foto: TQ

 

Wien - Die Idee einer notwendigen Leichtigkeit in der Vermittlung gewichtiger Dinge ist eine Grundlage für das Tanz- und Musikstück Grace Note, das noch bis Samstag in der Halle G des Museumsquartiers zu sehen ist. Für diese Koproduktion von Wien Modern und Tanzquartier Wien haben vier österreichische Künstlergrößen zusammengearbeitet: der aus Mexiko immigrierte Komponist Arturo Fuentes, das zeitgenössische Musikensemble Phace, der Choreograf Chris Haring und der Ex-Aktionist Günter Brus.

Leichtigkeit heißt hier nicht die Auflösung von allem in den Krachmaschinen der Unterhaltungsindustrie. Sie ist vielmehr im Sinn des auf Kuba geborenen italienischen Schriftstellers Italo Calvino gemeint, der nach seinem Tod 1985 eine unvollendete Vorlesungsreihe unter dem Titel Sechs Vorschläge für das neue Jahrtausend hinterlassen hat.

Auf Deutsch sind die Essays vor kurzem im Fischer-Verlag wieder erschienen. Darin ist die Forderung nach Leichtigkeit in der Literatur neben jenen nach Schnelligkeit, Genauigkeit, Vielschichtigkeit und Haltbarkeit formuliert.

Einige dieser Eigenschaften haben das Stück Grace Note beeinflusst. Sie erscheinen eher als Tugenden der Krise und der Rückversicherung als solche des Ausprobierens und Neuland Entdeckens. Die Eighties waren eine Umbruchszeit, und die Gegenwart trägt auch alle Anzeichen einer solchen. Arturo Fuentes drängt seine Musik einmal fein und poetisch, dann brüchig bis tief vibrierend in die krisensensibilisierten Gefühlslagen des Auditoriums.

Anfangs liegen Musiker, Tänzer und Instrumente in einem Durcheinander auf dem Boden. Nur langsam wird aufgestanden und zum Rauschen von Regen Ordnung gemacht. Ein Musiker dreht an den Pedalen eines umgedrehten Fahrrads, hält ein Plastikplättchen in die Speichen. Es knattert. Die Tänzer lassen ihre Oberkörper mit ausgebreiteten Armen rhythmisch gegen Mikrofone stoßen. Ein stummer Schrei. Atemgeräusche, Flüstern, Wortegeratter. Auszüge aus Calvinos Texten sind zu hören, aber kaum zu verstehen.

Zweifel entsteht, und er wird sich nicht mehr auflösen. Bei allem Witz, wenn die drei Tänzer zur Musik hampeln, wenn ein Saxofon die Stimme von Stephanie Cumming ersetzt oder wie bei einem Comic auch noch die Geräusche ihrer Bewegungen nachahmt und karikiert. Laut gesprochene Gedanken zur Welt im Ganzen, Seilspringen und Schreibmaschinenklappern. Etwas ironisch der Satz: Wie sehr die Dinge einander beeinflussen!

Stechendes Licht

Eine bedrohliche Szene leitet das Ende ein. Aus der Bühne stechen zwei Scheinwerfer ins Publikum. Die Musik lässt die Tribünensessel vibrieren. Am Schluss kräftige Worte von Günter Brus aus den Lautsprecherboxen: Wie die Zeit ein Erbe der Vergangenheit und wie die Historie eine Lüge ist, die von uns fortgesetzt wird. Nichts sei bibelfest, und auch der Koran eine Sammlung von Märchen. Zuletzt: "Die Zeit gehört vor ihrem Ende totgeschlagen."

Darin liegt ein deutlicher Protest. Obwohl Grace Note keine Neuerungen bietet, hat diese konzise, genaue und vielschichtige Arbeit eine Kraft, der sich das Publikum nicht entzog. Begeisterter Applaus nach der Uraufführung.  (Helmut Ploebst, DER STANDARD, 2.11.2012)