Tripolis/Wien - Libyen hat die erste Regierung, die das Resultat von freien Wahlen ist. Nachdem am Montag die Abstimmung über das Kabinett des designierten Premiers Ali Zidan verschoben worden und am Dienstag in einem Tumult geendet war, stimmte das libysche Parlament am Mittwoch der vorgelegten Liste zu.

Allerdings muss die Regierung Zidan auf ihre Vereidigung weiterhin warten, denn sechs der 32 Ministerkandidaten müssen zuvor von einer "Redlichkeitskommission" speziell überprüft werden. Das betrifft so wichtige Ämter wie das Außen-, das Justiz- und das Innenministerium, außerdem Kultur, Gesundheit und Religion.

Außenminister soll Ali al-Aujali werden, ein früherer libyscher Botschafter in den USA. Ihm wird von manchen Abgeordneten vorgeworfen, jahrelang Saif al-Islam al-Gaddafi, dem in Zintan inhaftierten Sohn von Muammar al-Gaddafi, nahegestanden zu sein. Weiters hatte die Wahl von Religionsminister Abdulsalam Mohammed Abusaad Proteste von Salafisten hervorgerufen, die ihm vorwerfen, ein Sufi zu sein. Der sufistische Islam hat eine starke mystische und lokale Komponente, während die Salafisten einem puristischen, fundamentalistischen Islam anhängen, der von allen "Neuerungen" und esoterischen Tendenzen rein sein muss.

Salafisten waren auch unter den Demonstranten, die am Dienstagabend das Parlamentsgebäude gestürmt und die Abstimmung verhindert hatten. Mit dabei waren auch Milizen aus Tripolis, die ihre Stadt in der Ministerliste zu schwach vertreten fanden.

Der Wermutstropfen an der gewonnenen Abstimmung besteht darin, dass nur 132 von 200 Mitgliedern des Nationalkongresses anwesend waren, etliche waren noch nicht aus dem Urlaub zum Opferfest oder von der Pilgerreise nach Mekka zurückgekehrt. Aus diesem Grund war auch die Abstimmung am Montag verschoben worden. Von den 132 Anwesenden stimmten 105 für die Regierung, bei achtzehn Enthaltungen und neun Gegenstimmen.

Premier Ali Zidan hat seine Regierung auf eine breite politische und regionale Basis gestellt. Sein Vorgänger Mustafa Abu Shagur war vor einigen Wochen an der Regierungsbildung gescheitert, da es ihm nicht gelungen war, die beiden stärksten politischen Fraktionen, die nichtislamische Allianz der Nationalen Kräfte und die Partei der Muslimbrüder (Gerechtigkeits- und Aufbau-Partei), in einer Koalition zu vereinen. Die neue Regierung soll bis nach der Ausarbeitung einer Verfassung und Neuwahlen im Amt bleiben. (Gudrun Harrer/DER STANDARD, 2.11.2012)