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Bauarbeiter bei Sanierungsarbeiten an einer Hausfassade in London. Viele Migranten arbeiten für Billiglöhne und hängen sozialrechtlich in der Luft, was bei Arbeitsunfällen fatal sein kann.

Foto: Reuters/Wermuth

London/Bukarest - Die Männer scharen sich im Schatten des Wickes-Baumarkts, halten Ausschau nach Gelegenheitsjobs, die es ihnen erlauben, in Großbritannien zu bleiben, und nach der Polizei, die sie regelmäßig zum Weiter gehen auffordert. Als Tagelöhner am Rande des expandierenden britischen Bausektors sorgen sie für ein stetiges Angebot billiger Arbeitskräfte - nützlich und doch oft nicht willkommen.

Ihre Anwesenheit gibt Anlass zu häufigen Klagen der Bewohner von Seven Sisters, einem Stadtteil im Norden Londons, wo Cafés ein deftiges "Bauarbeiterfrühstück" für weniger als fünf Pfund offerieren. Da sie von keinen Behörden oder Agenturen unterstützt werden, bevölkern die Tagelöhner die Gehsteige und machen durch ihre Kleidung - dreckige, mit Farbe und Mörtel bespritzte Trainingsanzüge - auf ihr "Gewerbe" aufmerksam. Halten potenzielle Kunden am Straßenrand an, wird um Stundensätze und Mitfahrgelegenheiten gefeilscht. Taucht die Polizei auf, laufen sie davon.

"Illegale" und ein Legaler

Auf der anderen Straßenseite erledigt Jarek seine Einkäufe und bleibt stehen, um mit ein paar Freunden zu plaudern. "Illegale" nennt er die etwa 30 Männer, die vor dem Wickes-Baumarkt warten. Auch er ist ein Einwanderer. Aber im Gegensatz zu ihnen kommt Jarek aus Polen und gerät nicht in Panik, wenn er die Polizei sieht.

Auch er ist Bauarbeiter, aber er macht seine Geschäfte nicht auf dem Gehsteig vor dem Baumarkt. Stattdessen ist er, ausgestattet mit einem Werkzeugkasten, mit seinem Moped unterwegs und verteilt Hochglanzflugblätter, die in schlechtem Englisch für "billige und zuverlässige Dienstleistungen" werben.

Jarek ist einer von etwa einer Million Arbeitern, die infolge der EU-Osterweiterung 2004 nach Großbritannien übersiedelt sind. Das Ausmaß der Zuwanderung, hauptsächlich aus Polen, führte zu heftigen Reaktionen gegen britische Politiker, die diese Entwicklung nicht vorausgesehen hatten.

Die Tagelöhner sind meist rumänischer und bulgarischer Herkunft und relative Neulinge in Großbritannien. Sie kamen nach 2007, als Rumänien und Bulgarien - die sogenannten A2-Länder - der EU beitraten. Anders als Jarek vermutet, ist die Anwesenheit der Männer in Großbritannien, ja sogar vor dem Wickes-Baumarkt, an sich nicht gesetzeswidrig.

Alles, was ihn von den Neuankömmlingen unterscheidet, ist ein Netz an Beschränkungen, die gemacht wurden, um A2-Zuwanderern die vielen Vorzüge zu verwehren, die Jarek und seinen Landsleuten geholfen haben, in Großbritannien Fuß zu fassen.

Sie dürfen bleiben, aber nicht arbeiten. Rumänen und Bulgaren erfüllen eine begrenzte Funktion: Sie decken den Bedarf an unterbezahlter und ungeschützter Arbeit in Großbritannien.

Der Bausektor macht mehr als zehn Prozent des Bruttoinlandsprodukts Großbritanniens aus. Er ist das Kernstück des Regierungsplans, die schwächelnde Wirtschaft wieder anzukurbeln, und er erhält regelmäßig Zuschüsse und Anreize. Kritiker behaupten, die Bauwirtschaft habe von den Re striktionen der Regierung für A2-Arbeiter profitiert, da dadurch schlecht bezahlte und kaum regulierte Arbeitsplätze gefördert wurden. Sie werfen Großbritannien vor, es "arbeite" sich aus der Doppelrezession, indem die Löhne und Arbeitsbedingungen anderer, vergleichsweise etablierter Arbeiter unterboten werden.

Eine Studie des Balkan Investigative Reporting Network (Birn) zeigt, dass A2-Arbeiter generell bereit sind, für niedrigere Löhne und zu schlechteren Bedingungen als andere in der Baubranche zu arbeiten. Viele der Interviewten sprachen nur unter der Bedingung, anonym zu bleiben, da sie nicht die Aufmerksamkeit der Behörden auf sich lenken wollten.

Die Tagelöhner vor dem Wickes-Baumarkt laufen allerdings kaum Gefahr, verhaftet zu werden, da sie immer noch behaupten können, sie würden ihre Einkünfte ohnehin versteuern. Ihre Nervosität gegenüber der Polizei rührt weniger von einer realen Angst vor Strafverfolgung her als von allgemeinem Misstrauen gegenüber dem Staat. Angesichts der restriktiven Maßnahmen auf dem Arbeitsmarkt sind sie in einen Bereich gedrängt worden, wo es keine klare Unterscheidung gibt zwischen dem, was gesetzlich und was ungesetzlich ist, zwischen Ausbeutung und Kosteneffizienz.

Bleiben oder gehen

"Die Polizei wollte meinen Ausweis sehen ... Manchmal sagen sie dir, du kannst bleiben, manchmal musst du gehen", erzählt ein Tagelöhner mittleren Alters aus Bulgarien, der sich mit dem Namen Neven vorstellte. "Ich bleibe", fügt er hinzu. "Was soll die Polizei schon mit mir machen?"

Bei ihrer Ankunft in Großbritannien müssen alle arbeitsuchenden Ausländer eine Sozialversicherungsnummer (NI) beantragen. Diese Nummer ist Voraussetzung für jeden, der eine gesetzmäßige, langfristige Erwerbstätigkeit sucht. An A2-Bürger wird nur dann automatisch eine NI-Nummer vergeben, wenn sie aufgrund einer Arbeitsbewilligung in Verbindung mit einem konkreten Jobangebot eingereist sind.

An den Rändern gelandet

Diese Migranten sind jedoch die Minderzahl. Ein Großteil der Rumänen und Bulgaren kommt ohne Arbeitserlaubnis oder feste Zusage nach Großbritannien. Migranten, die nicht beweisen können, dass sie selbstständig erwerbstätig sind und deshalb auch keine NI-Nummer erhalten, landen oft an den Rändern der Bau-, Hotel- oder Gastronomiebranche, wo sie für Gelegenheitsjobs, die ein Minimum an Formalitäten erfordern, bar auf die Hand bezahlt werden.

Für Arbeiter ohne Papiere besteht laut Aussagen von Gewerkschaften und Sicherheitsfachleuten auch ein höheres Risiko, schwere Verletzungen am Arbeitsplatz zu erleiden. Ein junger Rumäne erzählte, dass er bei Arbeiten mit einem Presslufthammer auf einer Londoner Baustelle einen Stromschlag erlitten hatte. "Ich erinnere mich an nicht viel", sagte er. "Da war Rauch. Ich hatte Verbrennungen am Arm."

Keine Dokumente

Der Mann hatte ohne NI-Nummer gearbeitet und von einem Freund von der Stelle erfahren. Er habe vor Arbeitsbeginn weder Dokumente vorlegen noch einen Vertrag unterschreiben müssen, erzählte er, und er wurde bar bezahlt. Obwohl er einige Sicherheitsanweisungen bekommen habe, habe er wegen schlechter Englischkenntnisse Probleme gehabt, diesen zu folgen. Baugewerkschaften schätzen, dass etwa 80 Prozent der Unfälle am Arbeitsplatz nicht gemeldet werden.

Die meisten der Männer vor dem Wickes-Baumarkt sagen, sie gingen von einem Verdienst von etwa 50 Pfund (60 Euro) pro Tag aus. Im Vergleich dazu kann ein selbstständiger Rumäne, der auf legalem Weg über eine Stellenvermittlung engagiert wird, um den Verkehr auf einer Baustelle zu regeln, mit 80 Pfund (100 Euro) pro Tag rechnen. Er bekommt also nur 30 Pfund (40 Euro) mehr als ein Tagelöhner. Davon muss er außerdem Steuern und Sozialversicherungsbeiträge zahlen.

Kritiker glauben, dass die derzeitige Politik gegenüber A2-Arbeitern ein System geschaffen hat, das den Staat um Steuereinnahmen bringt, den britischen Arbeitskräften schadet und Ausländer ausbeutet. Großbritannien ist nur einer von mehreren EU-Staaten, die den A2-Arbeitern Beschränkungen auferlegt haben. Ähnliches gibt es in Österreich, Deutschland, Belgien, Frankreich und den Niederlanden.

Laut Gesetz müssen die Beschränkungen bis Jänner 2014 aufgehoben werden. In einer Erklärung der britischen Grenzschutzagentur im vergangenen Jahre wurde jedoch bestätigt, dass allen neuen EU-Mitgliedern ähnliche "Übergangsbeschränkungen" auferlegt würden, um sicherzustellen, dass "die Zuwanderung Großbritannien nützt und sich nicht negativ auf unseren Arbeitsmarkt auswirkt". (Sorana Stanescu, DER STANDARD, 2.1.2013)