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Einwanderer aus Äthiopien bei ihrer Ankunft am Ben-Gurion-Flughafen in Tel Aviv. 120.000 äthiopischstämmige Juden leben heute in Israel.

Foto: Reuters

Wurden aus Äthiopien eingewanderte Frauen in Israel gegen ihren Willen mit einem umstrittenen Verhütungsmittel behandelt, um ihre Geburtenrate niedrig zu halten? Ja, sagen Menschenrechtsgruppen, die israelische Regierung dementiert.

Die Kontroverse um das Verhütungsmittel Depo Provera spiegelt die moralischen und praktischen Probleme wider, die seit Jahrzehnten die Eingliederung der äthiopischen Juden in Israel begleiten. Depo Provera ist ein von der WHO genehmigtes hormonelles Verhütungsmittel, das etwa in den USA, in Südafrika und auf den Philippinen besonders in sozial schwachen Bevölkerungssektoren eingesetzt wurde.

Weil bloß eine Spritze alle drei Monate nötig ist, sei es "eine sehr leicht zu benützende und diskrete Methode", heißt es in einem Bericht der israelischen Frauenorganisation Ischa le-Ischa, es könne aber Nebenwirkungen wie Blutungen, Depressionen und eine Reduktion der Knochendichte haben.

Vorwürfe in ausgestrahlter Dokumentation

Eine im Dezember in Israel ausgestrahlte Dokumentation erhob den Vorwurf, in den Emigranten-Durchgangslagern in Äthiopien sei in "Familienplanungs-Workshops" Druck ausgeübt worden: Man habe den Frauen eingeredet, sie könnten in Israel nicht einreisen oder hätten dort keine Zukunft, wenn sie die Spritzen ablehnen, man habe sie über die Nebenwirkungen nicht aufgeklärt, manche hätten geglaubt, es handle sich um Impfungen.

In Addis Abeba "haben sie uns gesagt, wenn ihr viele Kinder habt, werdet ihr es im Leben schwerhaben", so eine der interviewten Frauen, "also haben wir gesagt, wenn das stimmt, kommen wir hier nie heraus, und wir haben uns die Spritze geben lassen".

Seit die äthiopischen "Beta Israel" in den 1970er-Jahren von den israelischen Behörden als Abkömmlinge eines jüdischen Stammes anerkannt wurden, sind Zehntausende nach Israel gekommen. Für sie war es ein Sprung aus der Lehmhütte in die Industriegesellschaft - man musste vielen erst zeigen, wie man Besteck oder einen Lichtschalter benützt.

Sozialer Rückstand noch immer vorhanden

Den sozialen Rückstand haben "die Äthiopier", inzwischen rund 120.000 Menschen, noch nicht aufgeholt. Viele leben in ärmlichen Vierteln, sie verdienen weit weniger als der Durchschnitt, die Frustration führt zu Kriminalität und Gewalt in der Familie. Zugleich klagen sie über Bevormundung, Ablehnung und Rassismus.

Dass es in der Depo-Provera-Affäre Anweisungen der Regierung gegeben hat, bleibt unbewiesen - offenbar haben aber Gynäkologen äthiopischen Jüdinnen das problematische Verhütungsmittel viel häufiger verschrieben, als es in Israel üblich ist. Das könnte aus dem Vorurteil heraus geschehen sein, dass diese Frauen nicht fähig wären, mit der Pille oder anderen Verhütungsmethoden umzugehen. Manche der befragten Frauen gaben aber auch an, sie hätten sich bewusst für die Injektionen entschieden.

Das Gesundheitsministerium, das generell von Depo Provera abrät, hat alle Krankenkassen nun angewiesen, das Mittel "Frauen äthiopischer Herkunft und anderen Frauen nicht zu verschreiben, wenn aus irgendeinem Grund die Befürchtung besteht, dass sie die Auswirkungen nicht verstehen". (Ben Segenreich, DER STANDARD, 2./3.2.2013)