Ein Denkmal auf dem Prager Hauptbahnhof erinnert an den rettenden Kindertransport nach Großbritannien.

Foto: Gerald Schubert

Otto Pick, 87 Jahre alt, ist eines von fast 700 "Winton-Kindern".

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An den 15. März 1939 kann sich Otto Pick noch genau erinnern. Es war der Tag, an dem die Deutschen in Prag einmarschierten. Pick war 14 Jahre alt und stand mit seinem Lehrer und einigen Mitschülern auf dem Wenzelsplatz. "Es hat leicht geschneit", weiß er noch. "Der Platz war voller Wehrmachtssoldaten. Sie saßen in ihren Lastwägen und Panzern und rührten sich nicht. Und rundherum standen tausende Menschen und weinten."

Rettende Kindertransporte

Kurze Zeit später war Otto Pick, der aus einer tschechisch-jüdischen Familie stammt, als eines von insgesamt 669 "Winton-Kindern" auf dem Weg nach Großbritannien. Der Engländer Nicholas Winton, damals ein Jungmanager, der mit knapp 30 schon auf eine Karriere in mehreren europäischen Banken zurückblicken konnte, hatte zunächst von Prag und dann von London aus acht rettende Kindertransporte in seine Heimat organisiert.

Die Züge fuhren über deutsches Gebiet in die Niederlande, von dort aus ging es mit der Fähre weiter über den Ärmelkanal. "Ich habe einfach nur gesehen, was passiert, und getan, was ich konnte", sagt Winton heute bescheiden. Jahrzehntelang hat er darüber überhaupt nicht gesprochen, selbst im engsten Familienkreis nicht. Erst Ende der 80er-Jahre entdeckte seine Frau auf dem Dachboden alte Aufzeichnungen über die Kindertransporte und brachte die Geschichte ans Tageslicht.

Drittes Mal für Friedensnobelpreis vorgeschlagen

Seither ist Winton ein gefeierter Mann. Besonders in Tschechien, der Heimat vieler der geretteten Kinder. Miroslava Nemcová, die Präsidentin des tschechischen Abgeordnetenhauses, hat ihn soeben zum dritten Mal für den Friedensnobelpreis vorgeschlagen. "Grund dafür ist nicht nur meine eigene Überzeugung, sondern auch die ständig wachsende Unterstützung von Schülern aus der ganzen Tschechischen Republik", schrieb Nemcová in ihrem Brief an das Nobelpreis-Komitee in Oslo.

Die jüngste Initiative kommt aus einem Gymnasium im Prager Vorort Rícany und begann mit einem Zeitzeugenprojekt. Zwei Damen, ehemalige Winton-Kinder, haben in der Schule von ihren Erlebnissen berichtet und damit bei den Jugendlichen einen Nerv getroffen. Allein im Jänner haben die Schüler auf den Straßen Prags 13.000 Unterschriften für die Nobelpreis-Nominierung Wintons gesammelt.

Assoziationen wie 'Schindlers Liste'

"Es geht uns aber nicht nur um diesen Preis", sagt Dominika Kourilová, die die Petition mitorganisiert hat. "Wir wollen vor allem Wintons Geschichte erzählen und seine Tat entsprechend würdigen." Schulleitung und Lehrer unterstützen die Initiative. "Wenn jemand 'Wintons Liste' sagt, dann sollte das ähnliche Assoziationen wecken wie 'Schindlers Liste'. Beide sind durchaus miteinander vergleichbar", meint Dominikas Tschechischlehrer Jirí Kostecka.

Deshalb ist das Winton-Projekt für die Jugendlichen noch lange nicht abgeschlossen. Sie haben eine Onlinepetition ins Internet gestellt, sammeln Unterschriften via E-Mail und werben in sozialen Netzwerken um Unterstützung aus dem In- und Ausland - auch wenn sie mit der neuerlichen Nominierung Wintons ihr erstes Ziel längst erreicht haben.

Ehemaliges Winton-Kind als Außenminister

Das ehemalige Winton-Kind Otto Pick ist mittlerweile 87 Jahre alt. Während des Kalten Krieges hat Pick als Journalist und Politikwissenschafter gearbeitet, vor allem in Großbritannien und Deutschland. In den Neunzigern ist er nach Tschechien zurückgekehrt und wurde dort stellvertretender Außenminister.

Derzeit kümmert er sich als Sonderbotschafter um die Entwicklung der österreichisch-tschechischen Beziehungen. Wie er 1939 in einen der Winton-Züge gekommen ist, daran kann Pick sich nicht mehr erinnern. Mit seinem 103-jährigen Lebensretter Nicholas Winton steht er heute aber in Kontakt. "Winton schreibt noch immer sehr gut", sagt Pick. "Aber keine Mails. Normale handgeschriebene Briefe." (Gerald Schubert aus Prag, DER STANDARD, 9./10.2.2013)