Wieder ein neuer Skandal in der Lebensmittelindustrie. Nach Gammelfleisch, EHEC und Pestiziden wurde nun Pferdefleisch dort gefunden, wo es nicht hingehört. Das einzig Erfreuliche an diesen Skandalen ist, dass zumindest für einen kurzen Augenblick über unser Lebensmittelsystem geredet wird - über das Geflecht von sozialen Beziehungen und Interaktionen, das uns tagtäglich ernährt und das die meisten von uns mit dem Gang zum Supermarkt Tag für Tag neu (mit)machen.

Für den Betrug mit Pferdefleisch konnten wir in den letzten Tagen unterschiedliche Erklärungen und Lösungsvorschläge hören, die meisten davon alt bekannt.Für verantwortliche PolitikerInnen bietet es sich in solchen Situationen an, die Vorkommnisse als individuelle Straftaten abzutun. Wenig kreativ werden höhere Strafen sowie mehr und schärfere Kontrollen versprochen. Ein Problem wird also erkannt, eine Beschäftigung mit den Ursachen bleibt aus.

Paradoxerweise wird in Folge des Skandals sehr häufig auch eine detaillierte Beschriftung vorgeschlagen, beispielsweise in Form eines "Lebensmittelreisepasses". Während mehr Information für uns KonsumentInnen wünschenswert ist, stellt sich doch die Frage, ob das aktuelle Problem nicht gerade darin besteht, dass nicht das drinnen ist, was außen drauf steht.

Das Problem der profitorientierten Lebensmittelindustrie

An dieser Stelle scheint die Diskussion oft stehen zu bleiben. Wir müssen uns aber eine zentrale Frage stellen: Wie kommt es denn überhaupt zu diesen Entwicklungen? In der Folge müssten wir über eine Landwirtschaftspolitik sprechen, die eine profitorientierte Lebensmittelindustrie fördert. Für diese geht es nicht in erster Linie um die Produktion von Nahrungsmitteln und die Reproduktion der Grundlagen zur Lebensmittelproduktion. Es geht um das Geld, das nach dem Kauf von Inputs (zum Beispiel Arbeitskraft, Treibstoff, Tierfutter, Düngemittel, Samen) und dem Verkauf von Outputs (zum Beispiel Getreide, Fleisch, Tiefkühllasagne) übrig bleibt.

Es macht "Sinn" Pferfefleisch als Rindfleisch zu verkaufen

Das ist die vorherrschende Logik in unserem gegenwärtigen Lebensmittelsystem und in dieser Logik macht es Sinn, Pferdefleisch, wenn es denn gerade billiger ist, als Rindfleisch zu verkaufen. Es macht Sinn, Verarbeitungsschritte geografisch weitläufig zu verteilen. Es macht Sinn, eiweißhaltige Futtermittel aus anderen Teilen der Erde herbeizuschiffen und Erdbeeren einzufliegen. Es macht Sinn, Glashäuser im Winter für Paradeiserjungpflanzen warm zu heizen, damit bereits im Frühling "regionale" Tomaten geerntet werden können. Es macht Sinn, viele Tiere auf möglichst wenig Raum zu halten. Es macht Sinn, die Grenzen für Erdöl, Soja und Kapital zu öffnen, aber für Menschen selektiv geschlossen zu halten, um Zugriff auf billige Arbeitskraft zu sichern.

Hier auf das falsche Handeln einzelner Mitspieler zu verweisen, greift wohl etwas kurz. Vielmehr geht es um die Frage, wie wir das Spiel organisieren möchten. Wie wollen wir unser Essen produzieren und verteilen?Diese Frage zu stellen bedeutet die Demokratisierung unseres Lebensmittelsystems zu fordern.

Eine immer stärker werdende Bewegung für Ernährungssouveränität bringt Vorschläge für ein anderes Lebensmittelsystem. Und immer mehr Menschen machen das kapitalistische Lebensmittelsystem nicht mehr mit und praktizieren Formen solidarischer Ökonomie.

Lösungsansatz

In FoodCoops entscheiden wir KonsumentInnen selbst gemeinsam, welche Lebensmittel wir von wem von wo beziehen wollen. Die anfallenden Aufgaben teilen wir untereinander auf. Niemand kommt auch nur auf die Idee, falsche Beschriftungen oder schöne Verpackungen, die das Bild einer idyllischen Landwirtschaft vermitteln, zu verwenden.

Denn im Gegensatz zu Lebensmittelhandel und Lebensmittelindustrie geht es uns nur um Bedürfnisbefriedigung und nicht um Bedürfnisweckung zur Geldvermehrung. Durch persönliche Kontakte mit den ProduzentInnen bauen wir Netzwerke gegenseitigen Vertrauens und wechselseitiger Verpflichtung auf. So entsteht eine Situation, in der die Idee Pferdefleisch als Rindfleisch auszugeben absurd erscheint.

Außerdem können wir in den FoodCoops unsere Individualisierung als KonsumentInnen überwinden und unser Wissen teilen. Aus der Moralisierung des Konsums wird die Politisierung der Ernährungsfrage. Und wenn wir gerne Pferdefleisch essen, organisieren wir uns welches, und zwar aus ökologisch und sozial zukunftsfähiger Produktion. (Edith Wildmann, Christof Lammer, Philipp Lammer, Leserkommentar, derStandard.at, 1.3.2013)