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Manche Bagdader Viertel zieren Plakate von im Kampf gestorbenen Schiiten-Milizionären.

Foto: AP Photo/ Karim Kadim

Es ist ein Déjà-vu, und kein angenehmes, wenn man sich die Nachrichten ansieht, die über die neugegründete Mukhtar-Armee im Irak - eine schiitische Miliz - hereinkommen. Ihr deklariertes Ziel ist der Schutz der Schiiten vor den Sunniten in einer Atmosphäre zunehmender konfessioneller Polarisierung. Irak wird immer mehr zum Nebenschauplatz des Syrien-Kriegs. Die sunnitischen Proteste gegen den immer autokratischer agierenden Premier Nuri al-Maliki häufen sich, wobei auch Bezüge auf einen noch schlimmeren Autokrator, nämlich Saddam Hussein, genommen werden. Aber ebenso gibt es fast täglich Attentate, die fast immer Schiiten im Visier haben. Am Freitag allein am Vormittag zwei Autobomben in Diwaniya, am Donnerstag eine Bombenserie in Bagdad mit mindestens 22 Toten.

Eine Armee, welche die von den Sunniten verfolgten Schiiten rächen und beschützen würde, das gab es schon einmal in den zehn Jahren seit dem Sturz des Regimes von Saddam Hussein im Irak. Die Mahdi-Armee, gegründet von einem Überlebenden einer großen schiitischen Klerikerdynastie, Muqtada al-Sadr, tauchte bereits im Jahr nach dem US-Einmarsch im Irak auf, damals kämpfte sie vor allem gegen die US-Verwaltung des Irak und deren irakische Vertreter. Als sich die sunnitisch-jihadistischen Anschläge auf Schiiten mehrten, reagierte die Mahdi-Armee mit anfangs gezielten, später allgemeinen Angriffen auf Sunniten: Der Irak schlitterte in den Bürgerkrieg.

Eine Armee als Rächer der Schiiten: Die jetzige Mukhtar-Armee hat ganz klar ein historisches Vorbild. Al-Mukhtar al-Thaqafi aus Kufa war ein Rebellenführer, der 686 gegen das sunnitische Kalifat aufstand, um den Tod von Hussein zu rächen, den Enkel des Propheten Muhammad, der 680 in der Schlacht von Kerbala getötet wurde, womit die Spaltung der Muslime in Sunniten und Schiiten besiegelt war. (Allerdings - als Einschub, denn das geht über unsere Geschichte hinaus - kämpfte al-Mukhtar für den Kalifats-Anspruch nicht des Sohns von Hussein, sondern eines anderen Sohn Alis, nämlich Muhammads Ibn al-Hanafiya, der nicht ein Sohn der Muhammad-Tochter Fatima war, sondern ein Sohn, den Ali mit "der Hanafitin" hatte). Dieser historische al-Mukhtar, der für das Haus Muhammads kämpfte, ist heute übrigens ein beliebter Filmheld, Beispiele sind leicht auf youtube zu finden.

Die heutige Mukhtar-Armee wurde Anfang Februar von Wathiq al-Battat gegründet, einem früheren führenden Politiker der irakischen Hisbollah, die von vielen Irakern als iranische Gründung und in iranischen Diensten stehend angesehen wird. Dass Battat einer der ganz wenigen Schiiten im Irak ist, die mit dem iranischen politischen System – velayat-e faqih, der Herrschaft des Rechtsgelehrten (als Vertreter für den im 10. Jahrhundert verschwundenen Imam) - sympathisieren, ist bekannt, auch dass er ein großer Verehrer des iranischen religiösen Führers Ali Khamenei ist. Er selbst gibt an, dass die iranischen Revolutionsgarden bei der Gründung der Mukhtar-Miliz beteiligt waren – von dort kommt jedoch ein Dementi. Als Zweck der Miliz - die laut Sprecher bereits bis zu einer Million Mitglieder hat, was aber schwerstens übertrieben sein dürfte - gibt Battat, wie schon gesagt, die Verteidigung der Schiiten an sowie "der Regierung bei der Bekämpfung des Terrorismus helfen" zu wollen. Die Regierung hat jedoch einen Haftbefehl gegen Battat erlassen - aber viele Sunniten sind davon überzeugt, dass dieser nicht ernstgemeint ist.

Battat soll sich momentan in Syrien aufhalten, wo ja viele irakische Schiiten auf der Seite des Assad-Regimes kämpfen. Nicht weil sie es so sehr lieben – immerhin ist es offiziell noch immer ein Baath-Regime, also aus dem gleichen ideologischen Stall wie das von Saddam Hussein, das die religiösen Schiiten im Irak verfolgte –, sondern weil auf der Gegenseite so viele sunnitische Extremisten zugange sind, die einen explizit sunnitischen Kampf führen. Die Schiiten, die von außen kommen, sehen es etwa als ihre Aufgabe an, die vielen schiitischen Stätten in Syrien vor den Rebellen zu schützen.

Es ist nicht leicht zu durchblicken, worauf die Mukhtar-Armee wirklich hinaus will. Der Sprecher der Gruppe, Abdullah al-Rikabi, dementierte zu Wochenbeginn, dass sie mit Flugblättern etwas zu tun habe, die jüngst im Bagdader Bezirk Jihad verteilt wurden: Darin wurden alle Sunniten aufgefordert, das Viertel zu verlassen, sonst würde ihnen etwas Fürchterliches geschehen. Das hatten wir alles schon einmal im Irak - und die Sunniten von Jihad nehmen die Drohung sehr ernst, viele fliehen. Aus dem irakischen Sicherheitsestablishment verlautete jüngst, dass Pläne von Al-Kaida bekannt seien, in gemischt sunnitisch-schiitischen Wohngebieten - den wenigen, die es noch gibt – alternierend Schiiten und Sunniten umbringen zu lassen, um die Gruppen gegeneinander aufzubringen. Auch die Flugblattaktion gehe auf das Konto Al-Kaidas. Solche subtilen Methoden Al-Kaidas wären jedoch eher neu.

Bekannt hat sich die Mukhtar-Armee, sogar Battat selbst, allerdings auf den Angriff auf die iranischen Volksmujahedin (Mojahedin-e Khalq) am 9. Februar in einem ehemaligen US-Camp: Die iranische Oppositionsgruppe mit ihrer terroristischen Vergangenheit und ihren guten Beziehungen zum Saddam-Regime wird auch von der Regierung Maliki gehasst, die jedoch mit der Uno kooperiert, um eine Lösung für die Gestrandeten zu finden, die niemand haben will und die natürlich auch nicht in den Iran zurückgeschickt werden können. Wenn es stimmt, dass die Mukhtar-Armee hinter dem Angriff auf die MEK steht, dann sind das schlechte Nachrichten - es würde bedeuten, dass sie Raketen zur Verfügung hat.

Die brisante Situation im Irak geht in den viel schrecklicheren Nachrichten aus Syrien verständlicherweise unter. Aufhorchen ließ in der Wochenmitte aber auch eine Aussage eines Irakers, der sich ebenfalls gut mit Milizen auskennt: Hadi al-Amiri, heute Transportminister, war früher Chef der Badr-Miliz, des bewaffneten Arms des "Höchsten Irakischen Islamischen Rats" (früher: Höchster Rat für die Islamische Revolution im Irak). Die Badr-Miliz hat sich später zu einer Partei umgewandelt, aber während des Bürgerkriegs waren sie als Miliz des Innenministeriums bekannt und gefürchtet. Am Mittwoch beschuldigte Amiri die Türkei und Katar, in Syrien die extremistischen sunnitischen Jihadisten zu bewaffnen: Das sei eine Kriegserklärung auch gegen den Irak. Allerdings kritisierte Amiri auch die Bildung der Mukhtar-Armee.

Eine interessante Rolle spielt übrigens Muqtada al-Sadr: Nach dem Bürgerkrieg im Irak – und nachdem er teilweise die Kontrolle über seine Mahdi-Armee verloren hatte - zog er sich zu Studien in den Iran zurück. 2010 spielte er das Zünglein an der Waage bei der irakischen Regierungsbildung und verhalf Maliki, der die Wahlen eigentlich verloren hatte, zu einer zweiten Amtszeit: Offenbar geschah das auf Anweisung Teherans. Aber Muqtada al-Sadr tickt nicht so einfach wie sich das viele vorstellen: Schon früher hatte er sich als irakischer Nationalist stilisiert und etwa die Mullahs in Najaf und die anderen Schiitendynastien im Irak für ihre Iran-Abhängigkeit kritisiert. Maliki hasst er persönlich, denn der hatte sich 2007 militärisch gegen die Mahdi-Armee gewandt. Und nun, angesichts der sunnitischen Demonstrationen, hat sich der Schiit auf die Seite der unzufriedenen Sunniten geschlagen - was dem Iran gar nicht gefallen dürfte - und ebenso auf jene der Kurden, deren Beziehungen zu Maliki ja ebenfalls an einem Nullpunkt angelangt sind. So wird ausgerechnet der radikale Schiitenführer von einst zu einem, der aufzeigt, dass die Fronten im Irak nicht entlang konfessionellen und ethnischen Linien verlaufen müssen. (Gudrun Harrer, derStandard.at, 1.3.2013)