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Sanktionen der EU würden nur Orbán helfen, sagt Gordon Bajnai.

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STANDARD: Orbán ist ein schwer einschätzbarer Politiker: Ungarns Premier hat Banken und ausländische Konzerne mit hohen Steuern belegt, zugleich die Arbeitslosenhilfe gekürzt und Bettelei unter Strafe gestellt. Wo steht er politisch?

Bajnai: Obwohl Orbáns Fidesz der Europäischen Volkspartei angehört, ist sie eine populistische Partei mit stark rechtem und stark staatskapitalistischem Einschlag. Das Wesen der Fidesz ist aber derzeit ihr Hunger nach Macht: Hinter jeder Maßnahme, hinter jeder Idee der Fidesz steckt nichts anderes als die Frage, ob sich damit die eigene Macht absichern lässt, und zwar ganz gleich, zu welchem Preis.

STANDARD: Allerdings lassen sich ausländische Konzerne davon offenbar nicht abschrecken: General Motors hat erst im Februar neue Investments in Ungarn angekündigt, auch Audi baut die Produktion aus.

Bajnai: Die Zahlen sind klar: Die ungarische Wirtschaft ist im vergangenen Jahr geschrumpft, und sie wird heuer weiterschrumpfen. Die Abschreibungen im Industriesektor übersteigen die Neuinvestitionen deutlich, was nichts anderes bedeutet, als dass die Unternehmen ihre Produktion aus Ungarn langsam abziehen. Die Kreditvergabe durch die Banken ist zum Erliegen gekommen, und die Arbeitslosigkeit ist gestiegen - rund 500.000 Menschen haben das Land auf der Suche nach Arbeit in Richtung Westeuropa verlassen. Das oberste Ziel der Regierung war es, die Staatsverschuldung zu senken - deshalb hat sie die privaten Pensionskassen von drei Millionen Bürgern 2010 verstaatlicht. Nicht einmal das ist gelungen, die Verschuldung ist auf einem Rekordhoch.

STANDARD: Ist es nicht unfair, alle Probleme Orbán anzulasten? Ungarn steckt ja nicht erst seit seinem Regierungsantritt in der Krise.

Bajnai: Das ist richtig. Aber sehen Sie sich die Entwicklungen in der Slowakei und Polen an: Beide Länder wachsen, während Ungarn zurückfällt. Worunter das Land leidet, ist eine hausgemachte Vertrauenskrise. Sollten wir die Parlamentswahlen 2014 gewinnen, werden wir als Erstes das Vertrauen in Ungarn wiederherstellen.

STANDARD: Wie soll das geschehen?

Bajnai: Zunächst, indem wir die Rechtsstaatlichkeit wieder aufbauen. Die Regierung hat in die Entscheidungen des Verfassungsgerichtes eingegriffen und die erst vor zwei Jahren beschlossene Verfassung bereits viermal wieder umgeschrieben. Das System der "checks and balances" wurde ausgehebelt, damit muss Schluss sein. In der Wirtschaftspolitik wird es ebenso darum gehen, Vertrauen zurückzugewinnen: So wollen wir Ungarn eine Art Steuerverfassung geben, in der festgeschrieben wird, dass Steuern künftig nur noch höchstens einmal im Jahr geändert werden können, und auch das nur nach einem festgeschriebenen Diskussionsprozess mit den Betroffenen.

STANDARD: Was soll mit den hohen Sondersteuern, etwa jener für Banken, geschehen?

Bajnai: Wir können sie nicht über Nacht abschaffen, denn Ungarn steckt in einer Rezession, und wenn man die Einnahmen völlig verlieren würde, wäre die Stabilität des Landes gefährdet. Ich möchte die Bankensteuer auch grundsätzlich nicht abschaffen, sie aber auf das europäische Durchschnittsniveau zurückführen. Unser Plan wäre es daher, einen Wachstumspakt mit den Banken und anderen betroffenen Konzernen auszuverhandeln. Mit diesem könnten wir zum Beispiel festlegen, dass die Sondersteuern nach und nach reduziert werden, allerdings nur unter der Bedingung, dass Unternehmen neue Investments in Ungarn tätigen oder die Wirtschaft unterstützen, indem sie Kredite vergeben.

STANDARD: Die EU-Kommission hat Ungarn wegen des eigenwilligen Kurses mit Sanktionen gedroht - nicht zuletzt brachte sie den Entzug von Fördergeldern ins Spiel. Würden Sie das befürworten?

Bajnai: Nein. Man darf die Menschen nicht dafür bestrafen, dass sie eine schlechte Regierung haben. Ungarn braucht die EU-Gelder, um sich zu entwickeln, und das Land ist - auch wenn es Eingriffe ins Wahlrecht gab - nach wie vor eine Demokratie. Solange wir noch freie und geheime Wahlen haben, liegt es an uns, die politische Richtung im Land zu ändern. Jeder Eingriff und jede Einmischung von außen wäre dafür schädlich. (András Szigetvari, DER STANDARD, 2.4.2013)