Wien/Brüssel - Italiens neuer Regierungschef Enrico Letta gibt sich bei seinen Antrittsbesuchen in Europas Hauptstädten konziliant. "Wir werden sämtliche Verpflichtungen gegenüber unseren Partnern einhalten", sagte er am Dienstagabend nach einem Treffen mit Deutschlands Kanzlerin Angela Merkel. Zusatz: Europa müsse aber genauso viel Engagement für das Wachstum zeigen wie für die Konsolidierung.

Weniger diplomatisch äußerte sich der neue Industrieminister im Letta-Kabinett, Flavio Zanonato. Italien wolle mit der EU den Stabilitätspakt neu verhandeln, sagte er in der Zeitung La Repubblica. Der Pakt regelt Defizit und Verschuldungsobergrenzen und sieht bei Verstößen Sanktionen vor. Konkret schwebt Zanonato vor, Ausgaben für Investitionen künftig beim Stabilitätspakt herauszurechnen. Die Folge: Die EU-Staaten könnten höhere Defizite machen, ohne von der EU dafür gerügt zu werden.

Der Vorschlag ist nicht ganz neu. Zuletzt wurde beim EU-Gipfel im Dezember darüber gesprochen. Mehr als die Zusage, weiter darüber zu reden, gab es von Merkel aber nicht. Wie es in Ratskreisen heißt, gab es auf Beamtenebene in der Folge auch einige Runden. Herausgekommen ist bisher aber wenig. Es handle sich vor allem um ein "Abgrenzungsproblem". Heißt: Welche Investitionen sollen herausgerechnet werden? Nur jene für Bildung? Jene für Forschung? Auch jene für Rüstungsforschung? Darauf habe bisher kein Experte eine Antwort geben können, heißt es.

Konsum reduzieren

Im Büro von Finanzministerin Maria Fekter (VP) wollte man sich nicht näher dazu äußern. Die Minister werden sich voraussichtlich erst im Juni wieder mit dem Thema beschäftigen.

Für wenig ausgegoren hält jedenfalls Christian Keuschnigg, Chef des Instituts für Höhere Studien, den Vorschlag. "Ich sehe das skeptisch", sagte er zum Standard. "Es ist zwar richtig, dass man bei der Sanierung der öffentlichen Haushalte die Investitionen nicht vergessen darf. Sie sind eine grundsätzliche Voraussetzung für langfristiges Wachstum." Aber: Investitionen könnten nicht nur durch höhere Ausgaben, sondern auch durch Budgetumschichtungen finanziert werden, so Keuschnigg.

Er rät dazu, "konsumtive Ausgaben", etwa für Sozialleistungen, zu reduzieren. Außerdem sei es eine "Frage der Glaubwürdigkeit des Fiskalpakts", ihn nicht schon wieder aufzuweichen. Ansonsten seien wieder steigende Zinsen zu befürchten, glaubt Keuschnigg.

Wifo-Chef Karl Aiginger meint, der Vorschlag, Investitionen herauszurechnen, sei ursprünglich eine deutsche Idee gewesen, stamme aber aus einer Zeit, in der die Volkswirtschaften noch mit Straßen, Schulen, Energienetzen etc. "unterversorgt" waren. "Heute sind die meisten Länder, und ganz besonders Südeuropa, voll mit Autobahnen in das Nichts, an denen keine Firmen stehen und keine Dienstleistungszentren."

Das Abgrenzungsproblem sieht auch er. Als die Idee vor fünf Jahren diskutiert wurde, habe jedes Land Ausnahmewünsche definiert - Österreich die Investitionen in Tunnel. Ein Aufweichen des Stabilitätspakts hält er daher für prinzipiell nicht nötig. Man könne aber "flexibler" agieren, in dem man zwar heute mehr ausgibt, gleichzeitig aber bereits festlegt, in welchen Bereichen künftig die Ausgaben - "am besten mit dem Faktor 1, 5" - reduziert werden. (Günther Oswald, DER STANDARD, 2.5.2013)