Das neue Staatsbürgerschaftsgesetz belohne Leistung. Einwanderer, die sich rascher als andere integrierten, könnten früher Österreicher werden - und das nutze dem Land: Das meint man in der ÖVP, die den ursprünglichen Vorschlag für die aktuelle Einbürgerungsnovelle unterbreitet hat, welche im Ministerrat beschlossen wurde.

Das neue Staatsbürgerschaftsgesetz stelle viele Einbürgerungswillige vor unüberwindliche Hürden, entgegnen Grüne, Wiener SP und mit Migranten arbeitende NGOs. Einkommensschwache könnten das Verlangte niemals leisten. Also blieben sie als Nicht-Österreicher vom Wahlrecht dauerhaft ausgeschlossen - was der Demokratie und dem Land schade.

Soweit die zwei wichtigsten Lesarten der aktuellen Staatsbürgerschaftsnovelle; eine dritte, jede Art von Einbürgerungsbefürwortung ablehnende Reaktion kam erwartungsgemäß aus der FPÖ: Als unterschiedliche Interpretationen stehen diese Ansichten einander gegenüber. Fast so, als wäre von verschiedenen Gesellschaften die Rede: Bei der Einbürgerungsfrage zeigt sich, dass es in Österreich höchst unterschiedliche Vorstellungen über den Zustand des Gemeinwesens und dessen erwünschte Zukunft gibt.

Das ist kein Wunder, denn die Regeln, wie man Staatsbürger wird, sind in einer Einwanderungesellschaft zentral. Und es eröffnet viele Fragen: Ist Österreich ein Land, in dem Migranten, die viel leisten, mit Erfolg rechnen können? Oder eines, in dem dies vielfach verunmöglicht wird? Ist es für die Zukunft der Nation gut, wenn leistungsstarke Ausländer bei der Einbürgerung vorgezogen werden? Oder sollte die Staatsbürgerschaftsfrage, um gerecht gehandhabt zu werden, von der Erfolgs- und Einkommensfrage überhaupt entkoppelt werden?

Eine erste Antwort kommt aus der Einkommensstatistik. Die rund 1000 Euro netto pro Monat, die auch nach der Novelle unverändert über längere Zeiträume hinweg vorzuweisen sind, überfordern große Teile der heimischen Arbeitnehmer, In- wie Ausländer. Zehn bis 20 Prozent der männlichen Angestellten sowie 60 bis 70 Prozent aller Arbeiterinnen liegen mit ihren Löhnen darunter.

Diese Einkommensverhältnisse sind keine Sache der Strebsamkeit und nur bedingt eine des individuellen Willens. Sie haben vielmehr mit Bildungsstand und Schichtzugehörigkeit zu tun: Wäre es besagten Arbeiterinnen möglich, durch mehr Leistung mehr zu verdienen, sie würden wohl nicht zögern - doch was sie verdienen, liegt im Branchendurchschnitt.

Das wiederum bringt besagte Arbeiterinnen um die Chance, Österreicherinnen zu werden - was die Frage der Gleichheit aufwirft. Ende März hat der Verfassungsgerichtshof erkannt, dass es eine unsachliche Ungleichbehandlung ist, wenn sozial Schwachen die Einbürgerung erschwert wird: eine klare Aussage, die in der vorliegenden Staatsbürgerschaftsnovelle aber leider nicht zum Ausdruck kommt.

Vielmehr nimmt man mit dieser Novelle weiterhin die soziale Schieflage beim Staatsbürgerschaftserwerb mit in Kauf. Damit werden aber auch Wahlen zunehmend unrepräsentativ: Arme stimmen nicht mit. Vor mehr als hundert Jahren gab es das Zensuswahlrecht: Wählen durfte nur, wer über genug Finanzmittel verfügte. Diese Zeit ist schon lang vorbei. Doch wenn bei Einbürgerungen heute über Leistung geredet wird, aber das Einkommen gemeint ist, wird die Erinnerung daran wach. (Irene Brickner, DER STANDARD, 2.5.2013)