Alfred Zellinger: Ehemals Spitzenmanager etwa bei der Bawag und bei Bösendorfer, heute Opernlibrettist.

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Wien - Mit "Join!" setzen die Wiener Festwochen zwei Tage vor ihrer offiziellen Eröffnung ein Auftragswerk an den Beginn ihres Premierenreigens. In einer kühnen Fortschreibung seines "Spiels der Konzerne" (1990) entwickelt der emeritierte Spitzenmanager Alfred Zellinger darin das bewegte Bild einer Konferenz von Sales-Managern.

In Töne gesetzt hat dieses kapitalistische Königsdrama der Wiener Komponist und Cool-Jazz-Trompeter Franz Koglmann. Entstanden ist eine kühne Partitur ohne puristische Rücksichtnahmen: ein verqueres Singspiel, in dem E- und U-Musik zum swingenden Schattentanz bitten.

STANDARD: Früher waren Sales-Manager als Bühnenhelden Exoten. Sie gingen einen nur am Rande etwas an. Heute dominiert die Ökonomie die Politik, Manager sind Figuren öffentlichen Interesses. Ist damit nicht eine metaphorische Ebene verlorengegangen?

Zellinger: Ich schrieb vor 30 Jahren einen Essay mit dem Titel "Das Bild des Zirkulationsagenten". Der Begriff war bei Marx entlehnt. Seiner Meinung nach haben die Kapitalisten die Macht, und die Manager sind nur ihre Agenten. In den 1980er-Jahren wurde die Wirtschaft für die Literatur mit einem Schlag interessant. Die Börsen-Trader kamen auf und betrachteten sich in ihrer Hybris als "Masters of the Universe".

STANDARD: Aber man konnte die Sales-Manager in Ihrem "Spiel der Konzerne" doch für verkappte Shakespeare-Könige halten.

Zellinger: Ich wollte Manager zeigen, die nicht für etwas anderes, sondern für sich einstehen. Mit ihrer Sprache, ihrer Ästhetik, ihren Machtspielen und so weiter. Die richtige Form ist die Form des Inhalts. Tatsächlich wurde damals die Wall Street interessant, das Jahrhundert des Marketing brach an. Heute weiß jeder, was ein Banker tut, was ein Wall-Street-Manager tun darf und was nicht. Die Sprache der Entscheidungsträger ist in den allgemeinen Sprachgebrauch eingegangen.

STANDARD: Ist die Politik heute nur noch ein Anhängsel der Wirtschaft?

Zellinger: Ich betrachte meinen Umgang mit dem Thema als subversive Affirmation. Als Künstler, der beschreibt, ist man zunächst einmal neutral. "Let's create the brave new world!" heißt es in "Join!". Was früher einmal abschreckend geklungen hat, gebrauche ich heute wieder affirmativ. So affirmativ, dass es wieder subversiv ist.

STANDARD: Die Firma in "Join!" heißt "Gen & Brain". Sie entwickelt einen Chip, der als Implantat den Empfänger ohne Pause online hält. Zukunftsmusik?

Zellinger: In den 1980er-Jahren, als ich von einem solchen Wunderchip schrieb, gab es noch kein Internet. Damals sollte die Speicher- und Rechenkapazität seines Trägers vervielfacht werden. Jetzt hält er den Träger - fiktiv - online, ganz ohne lästige Hardware.

STANDARD: Eine Technikaussage?

Zellinger: Ich wollte den Chip als Metapher gebrauchen für ein neues, sensationelles Produkt. Wiewohl an der Verbindung von Mensch und Maschine bereits gearbeitet wird. In 25 Jahren, sagen Forscher, bestehen die Menschen in unseren Breiten zu 25 Prozent aus künstlichen Teilen.

STANDARD: Arbeiten Sie als Autor an der Verwischung Ihrer Meinung?

Zellinger: Ich behandle in "Join!" nicht die Kapitalkrise. Es geht um die Fortschreibung meines Themas in die Zukunft. Gemeint sind mit "Gen & Brain" diejenigen Unternehmen, die unser Leben am nachhaltigsten beeinflussen: Apple, Google, Facebook ...

STANDARD:  Aber klammern Sie nicht die Machtfrage aus?

Zellinger: Ich spreche von Firmen, die unser Leben unglaublich bereichert haben. Das ist meine Meinung. Was die Machtfrage anbelangt: Ursprünglich haben die Zirkulationsagenten einen Teil der Macht von den Kapitalisten übernommen, etwa durch Streubesitz. Die Vorstände, die Aufsichtsräte haben oft mehr Macht als die einzelnen Aktionäre. Gleichzeitig haben sich die Gesellschaften einen Teil dieser Macht zurückgeholt. Weil sie durchgesetzt haben, dass Konzerne akzeptable Dinge tun.

STANDARD: Die da wären?

Zellinger: Wenn publik würde, dass Apple in China mit dem Personal problematisch umgeht, hätte die Firma ein großes Problem. Die Konzerne lassen sich das Bemühen um Nachhaltigkeit enorme Summen kosten. Beratungsagenturen bieten heute an: Sustainable Developement, Environmental Solutions, Produktzertifikate für ökologische Lösungen. Die Gesellschaft hat sich einen Teil der Macht zurückgeholt, indem sie Konzernen vorschreibt, akzeptabel zu wirtschaften. Die tun das. Nicht weil sie Philantropen sind, sondern weil es ihnen geschäftlich gut tut. (Ronald Pohl, DER STANDARD, 2.5.2013)