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Müssen zigtausende Bienenvölker sterben, weil Politiker den Agrarkonzernen zu viel Honig ums Maul schmieren? - Öko-Aktivisten-Demo in London für ein EU-weites Pestizidverbot.

Foto: REUTERS/Andrew Winning

Honigbienen leben gefährlich. Monokulturen und Pestizide setzen ihnen ebenso zu wie Krankheiten und Schädlinge. Der fesselnde Film More than Honey erzählt davon in emotionalen Bildern und dennoch fachlich korrekt. So viel Beifall der Streifen von Naturliebhabern erhält, so wenig Sympathie bringen sicherlich manche Imker für das Werk auf. Denn der Film rüttelt an den Grundfesten ihres Denkgebäudes: Zum Bienensterben, so macht er deutlich, tragen die Bienenhalter selbst ganz wesentlich bei.

Regisseur Markus Imhoof führt ausgesprochen extreme Positionen der Bienenwirtschaft vor. Er zeigt den alten erfahrenen Imker aus den Schweizer Bergen, der die Liebe zu Natur und Imme glaubwürdig bis in die letzte Bartspitze verkörpert. Und er präsentiert den Bestäubungsunternehmer und Honigproduzenten in den USA, der die Biene unter dem Zwang zum Geldverdienen und Überleben seines Betriebs als reines Produktionswerkzeug gebrauchen, vielleicht sogar missbrauchen muss. Brutal gegeneinander geschnitten sieht man die reine alpenländische Natur und die quadratkilometergroßen Monokulturen rosa blühender Mandelbäume in Kalifornien. Die Bilder von Bestäubungseinsatz und Honigernte dort sind nichts für empfindsame Gemüter.

Aber auch bei strengen Auflagen zum Bienenschutz wie in Europa bleibt ein berührungsloses Nebeneinander von Pflanzenschutz und Imkerei Wunschdenken. Giftschäden gibt es nach wie vor auch bei uns. Zuletzt kamen dadurch im Mai 2008 in der Rheinaue über 11.000 Völker zu Schaden. Solche Vorkommnisse lassen sich so wenig völlig vermeiden wie Unfälle in Wirtschaft und Verkehr. Sie lassen sich aber begrenzen durch verantwortungsvolles Handeln jedes einzelnen Akteurs, eine engmaschige Kontrolle durch Staat und Öffentlichkeit und nicht zuletzt durch einen vertrauensvollen Umgang von Land- und Bienenwirten miteinander.

Brutalste Inzucht

Forderungen aus dem satten Bauch heraus nach einem vollständigen Verzicht auf Chemie auf dem Acker oder einer ausschließlich ökologischen Bewirtschaftung scheitern letztlich an ökonomischen Gründen. Der Autor möchte noch nicht einmal abschätzen, was ein Kunde für ein Glas Honig aus der Hand des freundlichen älteren Herrn aus dem Alpental auf den Tisch legen müsste, würde dieser mit der Imkerei seinen Lebensunterhalt bestreiten wollen.

Unbewusst gibt der erfahrene Bergimker aber über die wahrscheinlich wichtigste Ursache des Bienensterbens Auskunft: Der Film zeigt, wie er eine unpassende Königin, erkennbar an winzigen gelben Streifen, ausmerzt. Wie die Mehrzahl seiner Kollegen in Europa achtet er bei der Nachzucht akribisch auf die Reinheit seiner Rasse, seiner "Linie". Er weiß nicht oder ignoriert, dass er damit brutalste Inzucht betreibt - mit allen negativen Folgen.

Fast ein Jahrhundert lang bestand das Ideal der Honigbienen-Züchtung in der Auslese von jeweils eigenen, sauberen und klar abgegrenzten Stämmen und deren stabiler Erhaltung über lange Zeiträume. Höhepunkt dieser nahezu ideologischen Herangehensweise sollte im "Dritten Reich" die Entwicklung der "deutschen Biene" werden. Erst seit wenigen Jahren machen Wissenschaftler öffentlich darauf aufmerksam, dass die Vitalität der Bienen zwangsläufig leidet, wenn die genetische Variabilität derart eingeschränkt wird.

Professionelle Züchter suchen deshalb nach Alternativen. Bei der Masse der Imker ist die Nachricht aber noch nicht angekommen. Sie wollen weiterhin die sanftmütige Biene, die leicht zu bearbeiten ist, was bis zu einem gewissen Grade verständlich ist. Die Konzentration auf dieses Zuchtziel ist aber viel zu kurz gedacht. Die wichtigste Eigenschaft einer Biene muss heute die Widerstandsfähigkeit gegen die Varroamilbe (Varroa destructor) sein. Dies wird aber auch nach mehr als 30 Jahren Völkersterben von vielen Imkern nicht verstanden.

Stattdessen versucht man, die Milben durch die Behandlung mit exorbitant hohen Mengen von Ameisensäure, Oxalsäure und anderen Xenobiotica zu bekämpfen. Dabei ist aus der Landwirtschaft hinreichend bekannt, dass Eingriffe in natürliche Lebensgemeinschaften stets eine Gegenreaktion provozieren. Insektengifte oder Herbizide auf dem Acker lösen über kurz oder lang Resistenzerscheinungen bei Schädlingen und Unkräutern aus. Selbst Hacken oder Jäten ziehen signifikante Veränderungen in der Unkrautflora nach sich. Auch für die Imkerei ist deshalb die Hoffnung vergeblich, durch Einsatz von Chemie die Varroamilbe auf Dauer zurückzudrängen. Nur durch stetige, auf die jeweilige Situation angepasste Züchtung kann der Mensch im Wettlauf mit den Schadorganismen einen gewissen Vorsprung halten.

Seit mehreren Jahren zeigt sich zudem, dass die Varroamilbe nicht mehr das eigentliche Problem darstellt. Die Milben übertragen Viren, mit denen sich die Insassen des Stocks gegenseitig weiter infizieren. Offenbar versagt die Immunabwehr total. Beim derzeitigen Krisenmanagement kann sich auch keine Resistenz der Bienen gegen Varroa oder Viren herausbilden. Denn eine entsprechende Auslese findet nicht statt. Jedes eigentlich nicht überlebensfähige Völkchen wird mithilfe übermäßiger Dosen von Ameisensäure über den Winter gerettet und kann seine unzureichende genetische Ausstattung weiter vererben.

Zum Haustier verkommen

Dabei könnte der Bienenwirtschaft die Katastrophe mit der Tracheenmilbe im vergangenen Jahrhundert Warnung und Lehre sein. Anfang der 1920er-Jahre breitete sich in Großbritannien - und später europaweit - Acarapis woodi seuchenhaft aus und vernichtete 90 Prozent der Bienen auf der Insel. Die englische Landrasse war auf die plötzliche Invasion des Schädlings nicht vorbereitet. Es überlebten unter anderen einige durch Kreuzung mit auswärtigen Bienen entstandene Völker im Kloster Buckfast. Aus ihnen konnte nach und nach eine gegen Acarapis resistente Kunstrasse gezüchtet werden.

Die Biene ist in den letzten hundert Jahren zu einem gefälligen Haustier verkommen. Der Imker kann bequem mit ihr umgehen, sie ist aber nicht mehr in der Lage, sich in der Umwelt ohne den Menschen zu behaupten. Darin besteht die eigentliche Gefahr für dieses nützliche oder, wie manche behaupten, unentbehrliche Insekt. Bienenforschungsinstitute und einschlägige Einrichtungen an Universitäten nehmen sich der Züchtung der Honigbiene an. Ihr materielles und personelles Budget ist schmal. Dennoch hat das größte Gemeinschaftsprojekt der letzten Jahre, das Deutsche Bienenmonitoring, entscheidende neue Erkenntnisse gebracht. Es wurde eindeutig nachgewiesen, dass die Varroa zwar nicht die einzige Ursache des Bienensterbens ist, aber die mit Abstand wichtigste. Ausgerechnet die Imkerverbände haben versucht, diese bisher einmalige Leistung zu zerreden, ja sogar zu diffamieren.

Die Lehre aus diesen Ergebnissen kann nur sein, möglichst bald und sehr konzentriert ein gesamteuropäisches Programm für die Züchtung einer Biene auf den Weg zu bringen, die sich mit eigener Kraft gegen Milben und Viren wehren kann. Das geht nicht zum Nulltarif, die Politik muss dafür erhebliche Mittel bereitstellen. Sie wird das jedoch nur tun, wenn die Imker ihre Wünsche nachdrücklich begründen und massiv einfordern. Deren Funktionäre ziehen es aber vor, gemeinsam mit zweifelhaften Weltrettern und Naturschützern Kampagnen gegen Gentechnik und Neonicotinoide, gegen "Konzerne" und Landwirtschaft zu fahren und so vitale Interessen ihrer Mitglieder nicht zur Kenntnis nehmen. (Eberhard Höfer, DER STANDARD, 2.5.2013)