Bild nicht mehr verfügbar.

Amina Tyler (Sboui) auf TV-Aufnahmen. Sie muss am 5. Juni erneut vor Gericht erscheinen.

Foto: AP/Rezugi

Bild nicht mehr verfügbar.

Islamisten protestierten am Donnerstag vor dem Gerichtsgebäude. Sie beschuldigen Amina Tyler der Attacke gegen den Islam.

Foto: AP/Nawfel

Bild nicht mehr verfügbar.

Mounir Sboui, Vater von Amina, unterstützt seine Tochter vor Gericht.

Foto: AP/Nawfel

Mit nackten Brüste und der simplen Botschaft "Mein Körper gehört mir und ist nicht die Quelle irgendjemandes Ehre" versetzte Amina Sboui, die vorwiegend unter dem Pseudonym Amina Tyler bekannt wurde, ein ganzes Land in Aufruhr. Im März postete die Tunesierin auf Facebook zwei Fotos, auf denen sie oben ohne zu sehen ist und ihre feministischen Botschaften transportiert. Eigentlich ein möglicher Beginn einer frauenrechtlichen Revolution, immerhin wollte Amina in Tunesien einen Ableger der Femen-Gruppe aufbauen. Doch staatliche Autoritäten versuchen dem neuen Selbstbewusstsein von jungen Tunesierinnen einen Riegel vorzuschieben.

Illegaler Pfeffer-Spray

Tyler steht diese Woche vor Gericht. Nicht wegen der Fotos, sondern weil sie illegalerweise einen Pfeffer-Spray mit sich mitgeführt hat, wird ihr der Prozess gemacht. Laut einem 1894 verabschiedeten Gesetz ist nämlich für ein "entzündbares Objekt" eine Strafe von 150 Euro zu zahlen. Damit nicht genug, fährt die Anklage nun noch mit anderen Geschützen auf. Sie wirft Tyler Friedhofsschändung sowie öffentliche Ruhestörung vor. Am 19. Mai soll Tyler in der Stadt Kairouan, dem religiösen Zentrum Tunesiens, das Wort "Femen" an eine Friedhofsmauer gesprayt haben, und wurde im Zuge dessen verhaftet. Bis zu zwei Jahre Gefängnis könnten ihr damit blühen. Darüber entschieden werden soll am Mittwoch, 5. Juni, wenn der Prozess fortgesetzt wird.

Tod durch Steinigung verlangt

Islamisten wünschen der 19-jährigen, die noch zur Schule geht, noch ganz andere Dinge. Der Prediger Almi Adel plädierte nicht nur für eine Bestrafung nach den Gesetzen der Scharia, die 80 bis 100 Peitschenhiebe vorsehen würde, sondern "aufgrund der Schwere des Verbrechens" sogar den Tod durch Steinigung. Wie sehr die Islamisten die Emanzipation von Frauen fürchten lässt Adel ebenfalls durchblicken. "Ihre Tat kann eine Epidemie auslösen. So etwas ist ansteckend und könnte andere Frauen auf ähnliche Ideen bringen. Ich wünsche mir, dass sie geheilt wird."

Tante verkündet Selbstmord

Tylers Familie soll ähnlicher Ansicht gewesen sein. Mehrere Medien berichten davon, dass sie im März in eine psychiatrische Klinik eingeliefert wurde. Ihre Tante hatte zuvor in einem Video schon ihren Selbstmord verlautbart. Dann jedoch gab sie Anfang April dem französischen Satellitensender Canal+ ein Interview, in dem sie einerseits über Todesdrohungen von Islamisten und ihren Wunsch, das Land und ihre Familie zu verlassen, sprach. Andererseits aber auch ihrem Vater, der bei dem Interview ebenfalls anwesend war, für seine Reaktion dankte: "Ich bin wirklich froh, denn ein anderer Vater hätte seine Tochter deswegen vielleicht getötet."

Schwierige Familienverhältnisse

Dass das Verhältnis von Tyler zu ihrer eigenen Familie ohne große Probleme ist, glauben zumindest die Femen-Anhänger nicht. Alexandra Schewtschenko, eine der Gründerinnen, sprach gegenüber dem Atlantic-Magazin ihre Sorge aus, dass Tyler von eigenen Familienmitgliedern getötet und ein Selbstmord vorgespiegelt werden könnte: "Dass sie zuhause bei ihrer Familie ist, heißt noch nicht, dass sie in Sicherheit oder Freiheit ist." Tyler soll in der Vergangenheit ihre Mutter beschuldigt haben, sie richtiggehend gefangen gehalten zu haben.

Am ersten Prozesstag, dem 30. Mai, sagte Tylers Vater der Presse jedoch, dass er stolz auf seine Tochter und ihren Einsatz für Frauenrechte sei. An die 200 Bewohner von Kairouan, darunter viele Islamisten, echauffierten sich hingegen vor dem Gerichtsgebäude über die mutmaßliche Tat von Tyler und forderten hohe Strafen. Tylers Verteidiger wurden beschimpft, der Sprecher einer salafistischen Gruppe, beschwerte sich darüber, dass er den Prozess nicht im Gerichtssaal verfolgen durfte, in dem viele Sicherheitskräfte plaziert worden waren. Immer wieder wurde der Ruf nach der Einführung der Scharia laut.

Seit der Revolution regiert die islamistische Ennahda-Partei in Tunesien. Oppositonelle werfen ihr vor die Menschenrechte, die bisher noch zu den liberalsten im arabischen Raum gezählt haben, wieder zurückzuschrauben und Extremisten freie Hand zu lassen.

"Free Amina"

Am Mittwoch vor dem Prozessbeginn protestierten drei deutsche und französische Mitglieder von Femen erstmalig in der arabischen Welt für die Freilassung von Amina Tyler direkt vor dem tunesischen Justizministerium. Alle drei wurden daraufhin festgenommen. Ihnen steht laut tunesischen Ministerialbeamten nun ebenfalls ein Prozess bevor. Wofür sie konkret angeklagt werden sollen, wurde jedoch nicht gesagt.

Zuspruch erfährt Amina Tyler nicht nur von den Femen, sondern auch durch Solidaritätsbekundungen im Internet. Amnesty International initiierte eine Petition, die sich für die Freilassung einsetzt. Sie hält mittlerweile bei 115.000 Unterschriften. Auch bekannte Persönlichkeiten wie der Biologe und Religionskritiker Richard Dawkins kritisieren das rigide Vorgehen gegen Amina Tyler. Der 4. April wurde von Femen als Unterstützungsmaßnahme zum "Topless Djihad Day" erklärt. (ted, derStandard.at, 1.6.2013)