"Das ist Familie": die deutsche Grünen- Chefin Claudia Roth über das Verhältnis zu den österreichischen Grünen und Eva Glawischnig.

Foto: Christian Grass

"Wir müssen Schwarz-Grün gar nicht ausschließen, das besorgen schon Merkel und die CSU."

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"Am Anfang meiner Karriere habe ich viele blöde, auch sexistische Bemerkungen gehört."

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STANDARD: In Österreich wird Ende September gewählt, in Deutschland eine Woche davor. Trauen Sie sich schon abzuschätzen, wo die Grünen liegen werden?

Glawischnig: Wir werden beide bei 15 Prozent liegen, hoffe ich.

Roth: Ich mag jetzt nicht über Prozentzahlen reden. Sagen wir: Mehr als beim letzten Mal, da lagen wir, wie auch die österreichischen Grünen, bei rund zehn Prozent. Kurz davor gilt es, die wichtige Wahl in Bayern zu gewinnen. Zum ersten Mal in der Geschichte des Landes gibt es die Chance, dass es auch ohne die CSU geht.

STANDARD: Gibt es Unterschiede zwischen den Grünen in Deutschland und Österreich?

Glawischnig: Wir arbeiten sehr gut zusammen. Auch was die politische Ausrichtung betrifft, gibt es immer wieder Treffen.

Roth: Das ist Familie. Wir haben die gleichen Themen, die gleichen Werte, Grundpositionen. Der große Unterschied ist: Die österreichischen Grünen haben Angela Merkel nicht als Gegnerin.

STANDARD: Ein Unterschied ist aber sicher, dass sich die deutschen Grünen sehr in Richtung Rot-Grün festlegen. Die Österreicher lassen Koalitionsvarianten eher offen.

Roth: Wir machen jetzt keinen klassischen Lagerwahlkampf. Die Inhalte legen fest, mit wem es geht und mit wem nicht. Wir müssen Schwarz-Grün gar nicht erst ausschließen, das besorgen schon Merkel und die CSU. Sie verhindern den Mindestlohn, die Homo-Ehe, sind gegen eine Frauenquote. Da gibt es trotz mancher Konflikte mit den Sozialdemokraten deutlich mehr Gemeinsamkeiten und den Willen zu echten Reformen.

STANDARD: Wenn sich eine Regierung CDU mit der FDP nicht ausgeht, ist man doch in der Ziehung?

Roth: Wir kämpfen für eine rot-grüne Mehrheit, denn sonst droht die Große Koalition und das heißt Stillstand.

Glawischnig: Das kann ich nur bestätigen.

Roth: Das wird die Aufstellung sein: entweder ein Politik- oder ein Regierungswechsel.

Glawischnig: Was uns schon unterscheidet, ist die Themenlage: Wir sind damit beschäftigt, die Korruptionsfälle, das ganze schwarz-blaue Jahrzehnt, aufzuarbeiten. Und da ist meine Distanz zur SPÖ in den letzten Monaten größer geworden, weil eine radikale Transparenz eine Selbstverständlichkeit sein sollte.

Roth: Das Verhältnis zu den Sozialdemokraten war bei uns ja auch nicht immer vertrauensvoll. Das ist keine Liebesgeschichte, sondern der Versuch eine andere Politik zu machen.

Glawischnig: Vielleicht ändert sich das ja nach der Wahl. Es wird auf die Inhalte ankommen. Unser Fundament ist Umweltschutz und Korruptionsbekämpfung. Ich finde es übrigens interessant, dass immer wir die Frage gestellt bekommen, wem wir näher sind. Das ist diese alte Denke, dass sich diese Republik Österreich proporzmäßig in zwei Lager aufteilt und sich die Grünen entweder dem einem oder dem anderen zuzuteilen hätten.

STANDARD: Wie stehen Sie beide zur Form einer Minderheitsregierung?

Roth: Auf Bundesebene kann ich mir das schwer vorstellen. Wir haben damit aber eine gute Erfahrung in Nordrhein-Westfalen gemacht. Da hat exakt eine Stimme gefehlt. Wir haben dann auf Einladung gesetzt, bei den diversen Vorhaben mitzugehen. Das hat mit wechselnden Mehrheiten sehr gut funktioniert, bis die FDP das leider hat platzen lassen. Jetzt regiert Rot-Grün in NRW eigenständig.

Glawischnig: Ich bin da offen. Die Frage ist, wie nach der Wahl die Mehrheitsverhältnisse aussehen. Es kommt auch sehr darauf an, ob es gelingt, einen neuen Stil im Parlament zu etablieren. Es braucht mehr Selbstbewusstsein bei den Abgeordneten.

STANDARD: In Deutschland sind Piraten hochgekommen, in Österreich ist es das Team Stronach vor allem, es gibt die Neos. Wie geht man damit um?

Roth: Wir haben gut daran getan, die Piraten ernst zu nehmen. Es gab da ja auch einen richtigen Hype. In der Zwischenzeit haben sie sich aber selbst entzaubert. Sie werden es ziemlich schwer haben, in den Bundestag einzuziehen. Bei uns gibt es noch eine andere Partei, hinter der vor allem viel Geld steckt. Das ist die sogenannte "Alternative für Deutschland". Diese Partei ist antieuropäisch und hier werden im Nadelstreifenanzug wirklich Rechtsaußen-Positionen vertreten. Da werden CDU und CSU wohl reagieren.

Glawischnig: Die Piraten sind kein Thema. Und zu Stronach: Wir werden uns sehr genau anschauen, wie viel Geld er in die Wahlkämpfe buttert und schon gebuttert hat. Es gibt ja jetzt eine Wahlkampfkostenbegrenzung für die Nationalratswahl.

Roth: Aha, für alle Parteien?

Glawischnig: Ja.

Roth: Das schick mir mal!

Glawischnig: Bei sieben Millionen Euro liegt die Grenze. Bei Verstößen drohen Abzüge bei der Parteienfinanzierung.

Roth: Das ist gut. Wir kämpfen da immer David gegen Goliath.

STANDARD: Wie nehmen Sie, Frau Roth, Frank Stronach wahr?

Roth: Narrisch!

Glawischnig: Dabei ist er in Deutschland bei seinen Medienauftritten vergleichsweise zahm.

Roth: Da sagen manche: Mensch, das ist Österreich.

Glawischnig: Das ist eben nicht Österreich!

Roth: Das meinte ich jetzt gar nicht despektierlich.

Glawischnig: Sein Programm ist neoliberal. Und dann die Forderung nach dem Euro-Austritt ...

STANDARD: Ist es dann nicht ein Sündenfall, mit seinem Team und der FPÖ über eine Dreierkoalition in Salzburg zu verhandeln?

Glawischnig: Es ist ein sehr schwieriges Wahlergebnis in Salzburg. Was dort rauskommt, wird sehr stark davon abhängen, ob das Team Stronach grüne Inhalte mitträgt. Wie ich höre, haben sie wenig eigene Inhalte.

STANDARD: Salzburg geht, Bund nicht: Kann man das so trennen?

Glawischnig: Es gibt so etwas wie autonome Länderentscheidungen. Für die Bundesebene habe ich meine Skepsis deutlich formuliert.

STANDARD: In Salzburg würde sich mit der ÖVP eine Minderheitsregierung ausgehen, sogar ohne der Gefahr, abgewählt werden zu können.

Glawischnig: Das ist richtig und ist auch eine Variante. Aber es verhandeln die Salzburger.

STANDARD: Frau Glawischnig, sind Sie eigentlich froh darüber, dass Sie sich in Österreich nicht einer Urabstimmung über die Spitzenkandidatur stellen mussten, so wie das Ihre deutschen Parteikollegen vorexerziert haben?

Glawischnig: Bei uns wählt der Bundeskongress mit rund 300 Delegierten. Die Erfahrungen sind sehr gut. Das System hat sich bewährt.

Roth: Die Frage war: Wie kann man die Parteimitglieder einbeziehen? Da gab es Skepsis, aber es hat sehr gut funktioniert.

STANDARD: Für Sie nicht. Sie wurde nicht gewählt und bekamen mit rund 26 Prozent einen ordentlichen Dämpfer.

Roth: Für mich war das natürlich schmerzhaft. Ich hatte unterschätzt, dass möglicherweise die Flügelzugehörigkeit, die es in vielen Punkten ja gar nicht mehr gibt, eine Rolle spielt. Mit Jürgen Trittin hat ein Linker mehr als 70 Prozent der Stimmen bekommen.

STANDARD: Wie geht man mit so einer Niederlage um?

Roth: Du fragst dich zu allererst, was du falsch gemacht hast. Liegt es an dir? Ich habe natürlich auch überlegt, ob ich dann als Parteivorsitzende tragbar bin. Da habe ich schon ans Aufhören gedacht. Aber gerade der wunderbare Candy-Storm hat mich bestärkt, weiter zu machen.

STANDARD: Haben Sie schon einmal an Rücktritt gedacht, Frau Glawischnig?

Glawischnig: Ja, sicher. Meine ersten Jahre als Bundessprecherin waren schwierig. Da gab es den Konflikt mit der EU-Liste und Johannes Voggenhuber, weil er vom Bundeskongress nicht gewählt worden ist. Ich habe mein zweites Kind bekommen. Das war schon ein wahnsinniger Druck damals.

STANDARD: Glauben Sie, dass es Frauen heute noch immer schwerer in der Spitzenpolitik haben?

Glawischnig: Am Anfang meiner politischen Karriere habe ich unglaublich viele blöde, auch sexistische Bemerkungen gehört. Aber das hat sich gelegt. Mir gegenüber gibt es viel Respekt in der Politik, das kann man sicher nicht auf die gesamte österreichische Gesellschaft umlegen.

Roth: Ich habe das Gefühl, dass du schon noch ein Stück weit besser sein musst. Dieses Ewige: Wie sieht die aus? Wie emotional ist die? Den alltäglichen Sexismus gibt es noch.

STANDARD: Frau Roth war Managerin bei der Band Ton Steine Scherben, Sie waren mit der Gaugeler Band Gelati in der Hitparade. Lernt man im Musikgeschäft etwas, das in der Politik nutzt?

Glawischnig: Entscheidender ist für mich, dass ich ein Gasthauskind gewesen bin. Da habe ich das Zugehen auf Menschen gelernt. Beim letzten Wahlkampf habe ich immer ein Lied mit der Band mitspielen dürfen. Das war schon the Highlight of my day.

Roth: Bei mir war es die Bühne, die mich gelehrt hat, wie du Gefühle rüber bringen kannst.

STANDARD: Kürzlich hat die Wiener Vizebürgermeisterin Maria Vassilakou im STANDARD-Interview bürgerlich definiert mit: artig sein, schön Grüßen und Zähne putzen.

Glawischnig: Ich hoffe doch, dass sich alle die Zähne putzen. Es wird immer versucht, uns in eine Ecke zu stellen und sie hat versucht, ironisch zu antworten. Die Grünen sind quer über diese Begriffe gelegt.

Roth: Das gibt es immer wieder. Dann heißt es, wir seien die Antibürgerlichen. Was soll das heißen? Wie benehmen sich die? Der große Unterschied ist: Wir sind nicht kleinbürgerlich, nicht kränkend und nicht ausgrenzend.

Glawischnig: Ich war schon alles in den Augen anderer. Auch radikale Marxistin. Einmal hat mich ein Journalist im Konzerthaus gesehen. Danach schrieb er in einem Kommentar: Glawischnig ist bürgerlich. (Peter Mayr, DER STANDARD, 1.6.2013)