"1992 war das Jahr der Krise. Die Stichworte hießen Nirvana und Hoyerswerda": Nirvana-Frontman Kurt Cobain als Heiligenfigur.

Ikone: Peter Murphy / Eitempera, Blattgold

Als der Punk bricht, bin ich 14. Es ist 1992. Die FPÖ startet das Volksbegehren "Österreich zuerst", Gottfried Küssel wird wegen NS- Wiederbetätigung angeklagt, Franz Fuchs verschickt seine Briefbomben. Die Halbstarken auf dem Hauptplatz meiner Heimatstadt Vöcklabruck wechseln den Haarschnitt. Wo Irokesenstreifen leuchteten, schimmern jetzt fahle Glatzen. Auch die Namen der Bands auf den T-Shirts ändern sich. Aus "Slime" werden die "Böhsen Onkelz". Von Linkspunk zu Rechtsrock, ohne Umwege.

Die Musik ist ähnlich hart und schnell, aber die Texte sind andere. Die Burschen mit den neuen T-Shirts und Frisuren sind die alten – ich kenne einige aus der Schule -, doch irgendetwas war passiert.

Hoyerswerda. Rostock-Lichtenhagen. Mölln. Solingen. Schon ab 1991 kamen die Berichte von ausländerfeindlichen Ausschreitungen und Brandanschlägen im Osten Deutschlands. Alter Hass in neuen Ländern. Die Anwohner johlten, die Polizei blieb passiv. In Solingen starben fünf Türkinnen, ermordet von Neonazis. Robert Misik, damals Jungjournalist, berichtete im Profil von Pogromstimmung, vom jubelnden Mob und von jungen Männern mit Springerstiefeln, die Malcom-X-Kappen trugen. Insignien der schwarzen Bürgerrechtsbewegung. Wir lasen Misiks Artikel im Deutschunterricht.

Brutale Neonazis, die sich auf linksradikale Slogans und schwarze Bürgerrechtler bezogen – wie konnte das sein? Mein Deutschlehrer, ein alter Linker, wirkte ratlos. Die Zeichen waren explodiert. Die Codes hatten sich verselbstständigt. Man konnte sie nicht mehr einfangen und an einer Bedeutung festzurren.

Nation der Hassenden

Wenige Monate vor den Anschlägen in Solingen im Mai 1993 ist in Spex zu lesen, dass die linken Punks ihre Musik langsam an die "Nation der Hassenden" verlieren. Etwa zur selben Zeit veröffentlichte Diedrich Diederichsen, als Chefredakteur lange Zeit stilprägend in Spex, im Blatt den Essay The kids are not alright. Der Titel bezog sich auf Pete Townshends Mod-Hymne The kids are alright und kehrte diesen um. Diederichsen nahm Abschied von der progressiven Kraft der Jugendkultur und entlarvte den Glauben daran als linkes Wunschdenken. Früher war Pop in seiner Mehrdeutigkeit klar emanzipatorisch, argumentierte er. Doch spätestens mit Hoyerswerda und Rostock hatte die Popkultur ihre Unschuld verloren.

Der Nazi und der Antifaschist konnten gleich aussehen – und vielleicht mochten sie sogar die gleiche Musik. Wer sich auf Malcom X bezog oder schwarzen Hip-Hop hörte, der verband sich nicht mehr automatisch mit dem "schwarzen Weltghetto". Denn die radikale Geste blieb leer, der modische Code hatte keine Tendenz, solange man beides nicht mit Inhalt füllte. Erst die Haltung machte die Musik. Das war eine der Lehren dieser Zeit. Und es war eine Zäsur. Nicht nur für Spex, sondern für das Schreiben über Pop an sich.

Eine Grundannahme linker Popkritik brach plötzlich weg. Diese Annahme hatte gelautet, dass das Entgrenzende und das Wilde im Pop politisch per se befreiend und emanzipatorisch waren. Der Grundgedanke, dass Energie freisetzen und Sau rauslassen immer gut sei, erweise sich dadurch als falsch, dass er sich auf Nazi-Rock auch anwenden ließe, argumentierte Diederichsen.

Dass irgendwie alles Pop ist, und dass Pop ein Verkaufsvehikel für alles sein kann, das war schon vor den 1990ern unübersehbar. Die Counter Culture war nicht erst seit Nirvana zur Over-the-Counter-Culture geworden. Und auch die Sex Pistols hatten gerne T-Shirts mit Hakenkreuz getragen. Neu war aber, dass sich die Bedeutung der Zeichen und Symbole in die Beliebigkeit drehte, dass nichts mehr feststand, dass nichts mehr eindeutig war.

Als im Februar 2000 in Österreich Schwarz-Blau zu regieren beginnt, wird mir, 21-jährig, politisches Asyl bei Spex gewährt. Ich mache mich bei der Bewerbung ein wenig älter, um zwei, drei Jahre, und komme damit durch. Die Redaktion liegt in einem schmucklosen Neubau in der Aachener Straße in Köln. Überall stapeln sich Zeitungen, Magazine, Platten und CDs. Es wird unheimlich viel geraucht. Die Stimmung in der Redaktion ist gedrückt.

Wenige Wochen zuvor hatten die langjährigen Herausgeber um Diedrich Diederichsen und Jutta Koether Spex zum Verkauf angeboten. Die Auflage war zu diesem Zeitpunkt auf dem Tiefstand, war von 20.000 Stück in den guten Jahren auf die Hälfte gesunken. Ein Verleger aus München hatte Spex gekauft. Ein Mittdreißiger mit Sonnenbrille im Haar, blendender Laune und besten Kontakten zur Musikindustrie. Er ist bei den ersten Redaktionssitzungen als neuer Herausgeber dabei.

Gnadenloser Abgesang

Er sagt, dass er sich ein moderneres Heft wünscht und weniger "Bleiwüsten". Und er will in jeder Ausgabe eine Modestrecke sehen. Einige der ehemaligen Autoren bekommen Angst. Etwa Mark Terkessidis. Dabei wusste der es schon immer.

Wenige Wochen nach dem Verkauf schreibt Terkessidis in einem gnadenlosen Abgesang auf Spex in der tageszeitung, dass es ja so hatte kommen müssen: "In den letzten Jahren trudelte die Zeitschrift etwas orientierungslos durch eine veränderte Welt. Letztlich war Spex ein Überlebender der Achtzigerjahre." Man solle ihr Verschwinden also als Symptom für gesellschaftliche Veränderung lesen. Das waren harte Worte eines ehemaligen Autors für eine amtierende Redaktion, die unter neuer Verlegerschaft durchstarten sollte.

Doch Terkessidis sah den Verkauf von Spex als logisches Ende einer Entwicklung: "1992 war das Jahr der Krise. Die Stichworte hießen Nirvana und Hoyerswerda. 1992 explodierte die Szene endgültig in einem Regen von konsumistischen Stilmeteoriten."

Dass sich die Rechte die Gesten popkultureller Revolte angeeignet hatte, das veränderte die Grundlagen linker Popkritik – und damit die Grundlagen von Spex. Die große Erzählung von der progressiven Kraft des Pop war vorerst zu Ende. Rückblickend war Diederichsens Text The kids are not alright ein Schlüsseltext: der Abschied vom Schreiben aus der Fanperspektive.

Seit der Gründung im Jahr 1980 war Spex eine Mischung aus Fanzine und Autorenblatt, feierte die Subjektivität und gefiel sich in konsequenter Verachtung journalistischer Standards. Leserfreundlichkeit? Fuck off!

Auf der richtigen Seite

Das führte zu einem mitunter recht eitlen Ton und zu einer Art Hermetik der Hermeneutik, einem Predigen zu den Bekehrten. Und es führte dazu, dass viele Menschen Spex nicht einfach lasen, sondern regelrecht studierten. Aber das funktionierte nur, solange die Zeichen und Symbole in der Populärkultur eindeutig waren. So lange hatte es für die Autorenschaft gereicht, Popfan mit Sendungsbewusstsein, theoretischem Überbau und passablem Fremdwörterschatz zu sein. Man wusste sich schließlich von Amts wegen auf der richtigen Seite. Das war nach 1992 vorbei.

Um im besten Sinne meinungsbildend wirken zu können, braucht Kulturkritik ein klares Bezugssystem feststehender und eindeutiger Bedeutungen. In dem Moment, in dem die populäre Kultur zum amorphen Feld von konsumistischen und rassistischen Akten der Differenzierung wurde, brach all das bei Spex auseinander, schrieb Mark Terkessidis nach dem Verkauf des Magazins im Jahr 2000. Waren die besten Artikel davor zwischen Feier und Analyse geschwankt, musste das Blatt nach Hoyerswerda, Rostock und Solingen ernsthafte Kritik an der populären Kultur üben – und scheiterte immer wieder daran.

Man musste Spex vor dem Verkauf an den Münchner Verleger nicht mögen. Man konnte es sogar verachten, für seine Schlaumeierei, seine Eitelkeit, für den Musikgeschmack der Redaktion. Aber man konnte sich irgendwie daran abarbeiten: weil die Autorinnen und Autoren innerhalb eines nachvollziehbaren Zeichensystems Positionen bezogen. Und dabei Haltung zeigten, zu der man sich verhalten konnte. Wenn aber zeichen- und meinungsmäßig nur mehr Beliebigkeit regiert, wird es gnadenlos langweilig. (Lisa Mayr, Album, DER STANDARD, 1./2.6.2013)