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Touristen lassen mehr Geld in Kroatien liegen - im Bild ein Kreuzfahrtschiff vor Split - als ausländische Investoren.

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Am unteren Fensterrand der Straßenbahnen in Zagreb stecken viele bunte Zettelchen: "Es stehen Ihnen Bankkredite von einer lizenzierten Agentur zur Verfügung", steht auf einem blauen Zetterl. Ein Kredit über 3000 Euro kostet angeblich 93 Euro pro Jahr, Laufzeit drei Jahre. "Verweigert sich Ihnen Ihre Bank? Können Sie keinen Kredit mehr bekommen?", steht auf dem grünen Zetterl. Darauf ist ein Männchen dargestellt, das nur so mit Geld um sich wirft. "Kuna-Darlehen mit fixem Zinssatz", wirbt eine strahlend lächelnde junge Frau für ein anderes privates Kreditinstitut auf einem gelben Zettelchen. "Schnell zuverlässig wirksam", ist auf dem roten Zetterl zu lesen. Neben einem Telefon steht die Nummer von einem Typen namens "Ante".

Ante heißt in Kroatien etwa jeder Fünfte. Viele Antes sind in diesen Tagen allerdings pleite. Denn die wirtschaftliche Situation wird angesichts der wachsenden Arbeitslosigkeit (18 Prozent, bei Jugendlichen 40 Prozent) immer schwieriger. Und deshalb werden auch die bunten Zettelchen in den Straßenbahnen immer mehr. Und immer mehr werden auch in den vergangenen Monaten die Shops, in denen man Gold verkaufen kann: "Otkup Zlata" ist an jeder Straßenecke zu lesen. Viele kroatische Staatsbürger sind verschuldet. Wie ihr Staat.

Eines der größten Probleme für die Wirtschaft ist der Anstieg der öffentlichen Schulden. 2012 betrug der Anteil der Schulden am Bruttoinlandsprodukt (BIP) geschätzte 52 Prozent. Doch die EU-Kommission erwartet noch heuer einen Anstieg auf über 60 Prozent. Das Budgetdefizit dürfte heuer bei 4,7 Prozent liegen und ebenfalls weiter steigen. Wegen der hohen Ausstände könnten auch Staatsgarantien in Staatsschulden umklassifiziert werden. Stabil ist allerdings die Währung Kuna (ein Euro sind 7,45 Kuna). Angesichts der Tatsache, dass der Fremdwährungsbestand in der Notenbank 99 Prozent beträgt, kann Kroatien kaum eine eigene Währungspolitik machen, sondern strebt einen raschen Beitritt zum Euro an.

Ungünstiger als 2007

Insgesamt sieht die Ökonomin Hermine Vidovic vom Wiener Institut für Internationale Wirtschaftsvergleiche (WIIW) erst "mittel- bis langfristig positive Effekte durch den EU-Beitritt." "Die Situation ist wesentlich ungünstiger als für die Beitrittsländer, die 2004 und 2007 der EU beitraten." Hoffnung macht allein der Tourismussektor - im Vorjahr hatte Kroatien mit 6,27 Mrd. Euro Umsatz und 70,3 Millionen Nächtigungen sein bislang bestes Jahr seit der Unabhängigkeit. Und Kroatien hat nun durch den Beitritt mehr Zugang zu Struktur- und Kohäsionsfondsmittel. Heuer werden es 687 Millionen Euro sein, der Beitrag Kroatiens zum EU-Budget beträgt etwa die Hälfte: 374 Millionen Euro.

Das Wirtschaftswachstum ist seit 2009 rückläufig. Und so wird es wohl auch 2013 bleiben. Kroatien fehlen vor allem Exporte. Und trotz der sehr fruchtbaren Böden in Slawonien produziert die klein strukturierte kroatische Landwirtschaft viel zu teuer.

Noch dazu wird Kroatien durch den EU-Beitritt die Freihandelszone Cefta verlassen. Weil die Kroaten nun Zölle in die Cefta-Länder, insbesondere ins Nachbarland Bosnien-Herzegowina, zahlen müssen, befürchten viele Wirtschaftstreibende Einbußen. Mehr als 20 Prozent der kroatischen Nahrungsmittelexporte gehen in die Cefta-Nachbarländer, vor allem nach Bosnien und Serbien.

Vidovic erwartet dennoch nach dem Beitritt eine Intensivierung des Handels mit der EU, insbesondere mit den neueren Mitgliedsländern. Zurzeit sind Italien, Bosnien-Herzegowina, Deutschland, Slowenien und an fünfter Stelle Österreich die wichtigsten Exportmärkte. Österreich ist mit rund einem Viertel aller ausländischen Direktinvestitionen der bedeutendste Investor. Mit 60 Prozent Anteil dominiert Österreich klar den Bankensektor.

Kritik an Reformstau

Wirtschaftstreibende kritisieren in Kroatien den Reformstau und fordern eine Flexibilisierung der Arbeitsmärkte. Für die linksliberale Regierung ist das angesichts des Drucks der Gewerkschaften nicht einfach. Sie hat zudem mit Regierungsantritt viele Experten im öffentlichen Dienst, die der konservativen HDZ nahestanden, hinausgeworfen. Die obersten vier bis fünf Ebenen der Verwaltung wurden mit neuen Leuten besetzt.

Dadurch ging EU-Wissen verloren. Jetzt sitzen an zentralen Stellen Beamte, die sich erst einarbeiten müssen und die nicht bei den Verhandlungen mit der Europäischen Union dabei waren. Abgesägt wurden auch die Wirtschaftsattachés, echte Experten, die in einem Concours ausgesucht wurden und noch von der HDZ-Vorgängerregierung eingesetzt worden waren. Dabei sollten die Wirtschaftsattachés in Wien, Ljubljana, Milano, München und Chicago auch den Boden für neue Investitionen bereiten.

Ein weiteres Problem der kroatischen Wirtschaft ist der Staatsanteil. 60 Prozent des BIP werden durch staatsnahe Unternehmen erwirtschaftet. Zudem ging durch den Krieg (1991-1995) ein Großteil der Industrie kaputt. In Sisak etwa waren in jugoslawischer Zeit 15.000 Menschen in der Stahlindustrie beschäftigt, heute ein paar hundert.

Was den maroden Schiffsbau betrifft, so werden Teil der Staatswerften stillgelegt. Im Zuge der EU-Annäherung kam es auch zu Liberalisierungen. 2008 wurde etwa der Strommarkt liberalisiert. Der slowenische Anbieter GEN-I und der deutsche RWE wollen dem kroatischen Energiekonzern HEP künftig mehr Konkurrenz machen. (Adelheid Wölfl, DER STANDARD, 1.7.2013)