"Kroatien wird das nächste Milliardengrab!" Mit dieser freundlichen Schlagzeile begrüßte das auflagenstärkste deutsche Boulevardblatt Kroatiens Beitritt zur Europäischen Union. Auch andere deutsche Blätter haben diese Tage düstere Berichte über die Zukunftsaussichten des 28. Mitgliedsstaates veröffentlicht. Die Statistiken über die Wirtschaftslage des 4,4 Millionen Einwohner zählenden Landes sind in der Tat nicht gerade geeignet, das Vertrauen der Auslandsinvestoren zu erwecken.

Der jüngste EU-Kommissionsbericht spricht unter anderem von einer Schattenwirtschaft im Ausmaß von bis zu 40 Prozent der Wirtschaftsleistung, korrupter und langsamer Bürokratie, ineffizienter Justiz und einer auf 20 Prozent gestiegenen Arbeitslosigkeit. Noch schlimmer ist die Tatsache, dass fast jeder zweite junge Kroate keine Stelle hat. Das Pro-Kopf-Bruttoinlandsprodukt beträgt bloß 61 Prozent des EU-Durchschnitts. Geringe Innovationskraft und schwache Wettbewerbsfähigkeit, vor allem in der Landwirtschaft und in der Nahrungsmittelindustrie, sind einige der von in- und ausländischen Wirtschaftsvertretern oft erwähnten Schwachstellen.

Trotzdem wäre es falsch und kurzsichtig, das nach einem blutigen Krieg unabhängig gewordene kleine Land an der Adria abzuschreiben. Als Teil des Habsburger-Reiches und trotz der Jahrhunderte ungarischer Vorherrschaft fühlten sich die Kroaten immer als Europäer. Es gehört zu den vielen Widersprüchen der kroatischen Geschichte, dass jener mit Österreich so eng verbundene, hochbegabte und sprachkundige Ministerpräsident Ivo Sanader, der mehr als jeder andere kroatische Politiker den Weg nach Brüssel geebnet hat, die Beitrittsfeiern als wegen Korruptionsaffären zu zehn Jahren Haft verurteilter Häftling in einer Gefängniszelle miterleben musste.

Die Netzwerke der Korruption, die die Plünderung staatlichen Eigentums unter dem Deckmantel der Privatisierung betrieben haben, bilden die Erbschaft aus der Tito-Ära und dem autoritären Regime des vom kommunistischen Partisanen zum autokratisch-nationalistischen "Vater der Nation" gewandelten Staatspräsidenten Franjo Tudjman. Im Gegensatz zum slowenischen Nachbarn musste Kroatien nicht zuletzt deshalb lange Jahre im Wartezimmer der EU Platz nehmen.

Die internationalen Auftritte des Präsidenten Ivo Josipovic und der Außenministerin Vesna Pusic haben den positiven Wandel in der kroatischen Politik bestätigt. Der vor einigen Tagen im Wiener Parlament in ausgezeichnetem Englisch gehaltene, glänzende Vortrag der ehemaligen Soziologieprofessorin Pusic lieferte einen überzeugenden Beweis dafür, welche Begabungen die kroatische politische Elite auf der europäischen Bühne bieten kann.

Die Zugehörigkeit zur Europäischen Union bedeutet nicht nur Sicherheit und Schutz, sondern auch eine große staatspolitische und wirtschaftliche Chance für Kroatien. Zugleich zeigt die sich abzeichnende Wende in den Beziehungen zwischen der EU und Serbien einerseits und zwischen Serbien und Kosovo andererseits, dass die so schwierige Sanierung der Konkursmasse aus dem zerfallenen Jugoslawien doch Fortschritte macht. (Paul Lendvai, DER STANDARD, 2.7.2013)