Wien - Eine "Pleite des Rechtsstaates": Das sieht Alexia Stuefer, Generalsekretärin der Vereinigung österreichischer Strafverteidiger, hinter dem Fall jenes 14-Jährigen, der in Untersuchungshaft von Mitinsassen vergewaltigt wurde. Die Juristin ist Teil einer Expertenallianz gegen "Gleichgültigkeit im Strafvollzug" - und fällt ein bitteres Urteil: "Alle Institutionen haben versagt."

Als "nicht gesetzeskonform" bezeichnet Stuefer, dass ein Kind mit verzögerter Reife "weggesperrt und sich selbst überlassen" worden sei: Schließlich ist U-Haft nur erlaubt, wenn die verbundenen Nachteile für Persönlichkeitsentwicklung und Fortkommen des Jugendlichen nicht außer Verhältnis zu Tat und Strafe stehen. Die Hauptverantwortung sieht die Anwältin bei der Staatsanwaltschaft, die den Haftantrag stellte und die "Routine" des Freiheitsentzuges in Gang setzte. Aber auch die Richterin hätte nicht einwilligen dürfen.

Die Kritiker sehen hinter der Praxis des "Wegsperrens" Methode. Obwohl die Kriminalität laut Anzeigenstatistik sinkt, landen immer mehr Menschen im Gefängnis: Saßen zu Jahresbeginn 2000 "nur" 6861 Häftlinge ein, so sind es derzeit 8900 - ein Anstieg von 86 auf 105 Personen pro 100.000 Einwohner. In Deutschland beträgt die aktuelle Quote lediglich 82 Strafgefangene.

Spitze des Eisberges

Im Vorjahr wurden in den Gefängnissen 272 Gewalttaten unter Insassen registriert, nur drei davon hatten sexuellen Hintergrund. Gerade bei den Übergriffen letzterer Kategorie sei aber eine besonders hohe Dunkelziffer anzunehmen, sagen die Fachleute. Der aktuelle Fall sei nur "die Spitze des Eisberges", sagt Udo Jesionek, einst Präsident des 2003 aufgelösten Jugendgerichtshofes, und berichtet von einem anderen Opfer, das in U-Haft gleich x-mal vergewaltigt worden sei.

Weil auch der Gesellschaft nicht gedient sei, wenn Jugendliche "kaputt" aus dem Strafvollzug entlassen würden, fordert die Expertenallianz eine Reihe von Reformen: Wiedereinrichtung eines Jugendgerichtshofes, Alternativen zur U-Haft wie in Italien, Schweden oder der Schweiz, wo es etwa betreute Wohngemeinschaften gibt, freiwillige gemeinnützige Arbeit statt Freiheitsstrafen unter sechs Monaten sowie verpflichtende Einzelhaft während der Nachtstunden, um den Häftlingen Sicherheit und Privatsphäre zu garantieren.

Dass die Nacht in den Gefängnissen mitunter früh beginnt, fand der grüne Abgeordnete Albert Steinhauser in einer Anfrage ans Justizministerium heraus: Laut Auskunft von 2009 werden Häftlinge in vielen Anstalten bereits ab 14.30 bis 15.30 für den Rest des Tages in den Zellen eingesperrt. (jo, DER STANDARD, 2.7.2013)