Das "Wiener Erfolgsmodell" soll jetzt also auf das ganze Land ausgeweitet werden. Das fordert  jedenfalls die grüne Bundeschefin Eva Glawischnig. Nach Vorbild der verbilligten Jahreskarte für die Wiener Linien wünscht sie sich ein "Österreich-Ticket": Für 1.095 Euro im Jahr sollen alle öffentlichen Verkehrsmittel genutzt werden können. Es ist nur recht und billig, dass Glawischnig und Co im Wahlkampf darauf hinweisen, dass die Wiener die Preisreduktion der grünen Beharrlichkeit zu verdanken haben. Denn der rote Regierungspartner war ursprünglich für eine Erhöhung des Jahreskarten-Tarifs. Inzwischen ist das 365-Euro-Ticket nicht einmal mehr für die Opposition ein Aufreger. Innerhalb wie außerhalb von Silberpfeil und Elektrobus herrscht weitgehend Einigkeit über die Sinnhaftigkeit dieser Maßnahme.

Die Wiener Grünen sollten allerdings aufpassen, dass sie im Nationalratswahlkampf nicht allzu oft als Musterschüler herhalten müssen. Denn sie könnten damit ihrer eigenen Sache schaden. Das hat weniger mit dem Umstand, dass sie ursprünglich die 100-Euro-Karte für die Öffis forderten zu tun: Das  haben die Wiener längst vergessen. Vielmehr  besteht die Gefahr, dass die kleine Regierungspartei bei noch umzusetzenden Projekten allzu bescheiden wird. Denn egal ob es ums Parkpickerl, neue Radwege oder die autofreie Mariahilfer Straße ging: Immer wenn sich die grüne Vizebürgermeisterin Maria Vassilakou in den letzten Monaten zu Wort meldete, löste sie einen Sturm der Entrüstung aus. Da fürchteten Vorstadtbewohner um ihr Recht auf freie Parkplatzsuche und Geschäftsbesitzer sahen sich in Horden von Fußgängern versinken.

Seit das Planungs- und Verkehrsressort in grüner Hand ist, ist bei vielen Themen eine sachliche Diskussion kaum mehr möglich. Denn Druck kommt fast ausschließlich von konservativer Seite. Während sich Vassilakous roter Vorgänger mit Radlobby und Guerilla-Gärtnern herumschlagen musste, fühlen sich diese Bevölkerungsgruppen offenbar von den Grünen in allen Belangen vertreten. Jedenfalls stellen sie öffentlich kaum mehr Forderungen an das Ressort. Was zur Folge hat, dass Vassilakou oft eine Minimalvariante vorlegt anstatt aufs Ganze zu gehen. Beispiel Mariahilfer Straße. Ursprünglich sollte sie gänzlich autofrei werden, mittlerweile gewährt man eine ganze Reihe von Ausnahmen – und diskutiert noch immer über mögliche weitere Aufweichungen.

Dabei geht es um Fragen, die - egal von welcher Partei - dringend gelöst gehören: Wie kann der Individualverkehr reduziert werden? Woher kommt das nötige Geld für den Öffi-Ausbau? Und: Wie schaffe ich neuen Freiraum in dicht bebautem Gebiet? Schön, dass zumindest die Öffi-Debatte nun auch auf Bundesebene geführt wird. Ob diese für den Wähler spürbare Folgen haben wird, ist allerdings fraglich. (Martina Stemmer, derStandard.at, 1.8.2013)