Wolodymyr Kusnezows Wandgemälde "Das Jüngste Gericht", welches noch vor Fertigstellung schwarz übertüncht wurde.

Foto: Kusnezow

Kiew - Vor genau 1025 Jahren hatte sich ein Fürst Wladimir mit Gefolgschaft in Kiew taufen lassen - vergangenes Wochenende waren deshalb orthodoxe Patriarchen und Metropoliten in die ukrainische Hauptstadt gereist, um mit den Präsidenten Russlands und der Ukraine dieses Jubiläum der Christianisierung der Ostslawen zu feiern. Aber auch die weltliche Ukraine hatte sich gebührend vorbereitet: Das staatliche Mystezki Arsenal ("Kunstarsenal") hatte eine aufwendig produzierte Schau auf die Beine gestellt, die mit Exponaten aus 25 Museen erstmals einen kompletten Überblick über die Kunstgeschichte des Landes von der Steinzeit bis in die Gegenwart liefern sollte.

Große und Großartiges, so der Titel der Schau, hätte alle Chancen gehabt, selbst als Großtat und Pionierleistung in die ukrainische Kunstgeschichte einzugehen. Doch seit voriger Woche schreibt die Ausstellung andere Schlagzeilen: Mit Zensur und der Zerstörung eines Wandgemäldes von Wolodymyr Kusnezow löste Mystezki-Arsenal-Direktorin Natalija Sabolotna einen Skandal aus, dessen Auswirkungen für die ukrainische Kunst nicht abzuschätzen sind. Beobachter wie der prominente Künstler Oleksandr Rojtburd, befürchten gar, dass das Arsenal, praktisch einzige staatliche Institution für zeitgenössische Kunst im Land, die Causa womöglich nicht überleben werde.

Kusnezow war als eine zeitgenössische Position von Chefkurator Oleksandr Solowjow eingeladen worden, im Rahmen von Große und Großartiges ein temporäres Wandgemälde anzufertigen. Der 36-jährige Kusnezow, der als umtriebiger Vertreter der jüngeren Generation gilt und 2004 das bekannte Künstlerkollektiv R.E.P. mit begründete, begann wenige Tage vor der Eröffnung, eine elf mal fünf Meter große Wandfläche im Ausstellungsraum zu bearbeiten. Sein comichaft gemaltes Sujet Kolijiwschtschina: Das Jüngste Gericht verweist auf einen ukrainischen Volksaufstand des späten 18. Jahrhunderts und auf Michelangelos weltberühmtes Wandgemälde in der Sixtinischen Kapelle. Kusnezow projiziert die Szenen freilich gesellschaftskritisch ins 21. Jahrhundert: Im Höllenfeuer schmoren Popen, korrupte Polizisten und eine Luxuslimousine, errettet werden sozial Benachteiligte, Vertreter sexueller Minderheiten und eine Pussy-Riot-Aktivistin.

Einen Tag vor der Eröffnung erklärte Direktorin Natalija Sabolotna dem Künstler, dass das Bild nicht gezeigt werden könne. Kurze Zeit später wurde das noch nicht vollendete Sujet schwarz übermalt - laut Darstellung von Beteiligten legte Sabolotna dabei persönlich Hand an. In einem ersten Statement sagte sie, dass sich die Arbeit nicht in die Konzeption von Große und Großartiges eingefügt habe.

Kurator Solowjow, der als Sabolotnas Stellvertreter fungierte und als einflussreichster ukrainischer Experte für zeitgenössische Kunst gilt, sprach hingegen von Zensur und kündigte. Seinem Beispiel folgte die Chefredakteurin von Art Ukraine, der von Sabolotna herausgegebenen wichtigsten Kunstzeitschrift des Landes. Gegenüber dieser hatte Sabolotna zuvor erklärt: "Da die Entscheidung nicht auf Direktiven der Regierung beruht, handelt es sich um keinen Akt von Zensur."

Parallel zur Eröffnung protestierte vorigen Freitag schließlich noch die Kiewer Kunstszene - einige Dutzend Künstler hielten schwarze Zettel, die zwangsläufig an das Schwarze Quadrat erinnerten. Das hätte sich der große Kasimir Malewitsch, der 1879 in Kiew zur Welt gekommen war, wohl nicht geträumt: dass sein Meisterwerk in der Heimatstadt dereinst zum Symbol für Zensur avancieren könnte.   (Herwig G. Höller, DER STANDARD, 2.8.2013)