In seinem jüngsten Solo choreografiert der in Tokio geborene Butô-Tänzer Ko Murobushi den Kampf um das Überleben mit all seinen tausend Plateaus als einen Refrain.

Foto: Laurent Ziegler

Wien - Der japanische Butô-Tänzer Ko Murobushi ist bereits viele Tode gestorben. Symbolisch freilich, als Bühnenfigur. Aber immer wieder hat er sich zum Leben erweckt. So auch jetzt in der Uraufführung eines Solowerks mit dem etwas komplexen Titel Ritournelle ... / Danse <Mille Plateaux> Vol. 1 bei Impulstanz im Odeon.

Murobushi ist seit 1988 Stammgast beim Festival und bringt etwas von dem Flair der Butô-Begeisterung in den Eighties in die Gegenwart herüber. Vor wenigen Jahren erst haben sich so bedeutende Choreografen wie Boris Charmatz und Xavier Le Roy unter neuen Perspektiven mit der in den 1950er-Jahren von Tatsumi Hijikata in Japan entwickelten Tanzform auseinandergesetzt.

Ritournelle (französisch: Leier oder Ritornellrefrain) wirkt wie eine Fortsetzung von Quick Silver, dem Solo, das der heute 66-Jährige bei Impulstanz 2012 gezeigt hat: Auch jetzt ist die Haut des Tänzers mit einer silbermetallischen Farbschicht überzogen. Und was bei Quick Silver wie ein Kampf gegen unsichtbare Mächte daherkam, hat sich in ein Ringen um das bloße Überleben verwandelt. In schwarzem Hut und Anzug tritt der Tänzer wie sein eigener Tod auf, aus dem sich Murobushis Körper mühsam schält.

Die für den Butô typische innere Spannung des Körpers entspricht dem Druck der engen kulturellen Konventionen in Japan. Nicht ohne Grund ist diese Tanzform vom deutschen Expressionismus der Zwischenkriegszeit beeinflusst: Auch da waren, man denke nur an Mary Wigmans Hexentanz (1926), die Tänzer unter dem Druck der damaligen Disziplinargesellschaft bis zum Zerreißen angespannt.

Wie man den Khon tanzt

In Murobushis Tanz finden sich sowohl die Verbindungen zwischen den asiatischen und den europäischen Kulturkreisen als auch ihre strikten Unterschiede. Beide werden in der Reihe "East-West-Meetings", einer kuratorischen Zusammenarbeit von Impulstanz mit dem Wiener Weltmuseum, auch dezidiert angesprochen. Bisher am deutlichsten in dem Stück Pichet Klunchun and myself von Jérôme Bel. Darin sitzen Klunchun (41), der Meister des thailändischen klassischen Khon-Tanzes, und Bel (48), der Doyen des europäischen choreografischen Konzeptualismus, einander gegenüber und fragen sich gegenseitig aus. Klunchun zeigt Proben aus einem Khon-Werk, das, würde man es in einem Stück aufführen, eine Dauer von einer Woche hätte. Und Bel präsentiert Motive aus seinen Arbeiten Nom donné par l'auteur, Jérôme Bel und The Show Must Go On.

Die beiden gehen ungezwungen respektvoll miteinander um, äußern sich aber auch schonungslos ehrlich. Klunchun findet Bels Beispiele entsetzlich langweilig, und Bel macht klar, dass der Königstanz Khon auf das auf Freiheit und Gleichheit gerichtete europäische Denken eher absurd wirkt.

Das sind die kulturellen Differenzen. Gemeinsam haben Khon und Konzeptualismus ein Faible für Zeichen und deren erzählerische und politische Funktionen. Im Khon hat jede Geste eine bestimmte Bedeutung, die man kennen muss, um zu verstehen, was auf der Bühne vorgeht - wie auch, etwas einfacher, im europäischen Ballett. Der Konzeptualismus ist eine Kritik an der Repräsentation. Und dabei ein Befragen der Bedeutung von Zeichen. Bei Bel beispielsweise ist daher das bloße Dastehen der Tänzer auf der Bühne ein elementares Motiv.

Pichet Klunchun and myself lebt auch vom Witz und Charisma der beiden Künstler, die den interkulturellen Dialog ohne fatale Romantik gegenüber der Exotik des jeweils anderen praktizieren. Es genügen das Interesse an- und eine unbedingte Achtung voreinander. Und der Wille, etwas gemeinsam zu schaffen.    (Helmut Ploebst, DER STANDARD, 2.8.2013)