"The Kiss" (2012) heißt diese Fotoarbeit von Agnieszka Polska. Der Salzburger Kunstverein zeigt vor allem Videoarbeiten zu Fragen von Erinnerung und Dokumentation.

Foto: Polska, Zak Branicka, Berlin

Salzburg - Für die gelungene Pointe wird so manche Erzählung rundgeschliffen, verliert neben Eckigem auch etliche - womöglich nicht unerhebliche - Nebenstränge. Mit Geschichtsschreibung und Dokumentation verhalte es sich da gar nicht einmal viel anders, ist die polnische Künstlerin Agnieszka Polska (geb. 1985) überzeugt. Mit dem Ziel, ganz bestimmte intellektuelle Inhalte zu transportieren, negiere man andere: Fakten gehen verloren, werden womöglich sogar umgeformt.

Wie viel Fiktion verträgt die Dokumentation? So könnte eine der Fragen lauten, mit denen man Polskas Arbeiten in der Ausstellung Pseudoword Hazards im Salzburger Kunstverein begegnet. Und so lässt Polska die Grenze wischen Fakt und Fiktion verschwimmen. Etwa im kurzen Video How the Work is Done (2011, 6 min). Polska rekonstruiert darin Ereignisse aus dem Jahr 1956, dem Jahr des Posener Aufstands, einer Zeit großer politischer Instabilität in Polen. Konkret wird ein Streik an der Krakauer Akademie thematisiert, bei dem eine Gruppe von Künstlern die Keramik- und Bildhauerwerkstätten besetzte und die Arbeit niederlegte. Ein Akt des Widerstands also, der künstlerisches Tun körperlicher Arbeit gleichsetzen wollte. Aber der Streik scheiterte; die Akademie wurde geräumt.

Während ein Sprecher in großer Langsamkeit die wenigen Fakten erzählt, zeigt Polska die vermeintlichen Räume des Geschehens. Die Kamera fährt über mit Plastik verhängte Gips- und Tonköpfe, Töpferscheiben, Waschbecken - nahsichtig fängt sie Spuren der kreativen Arbeit ein, so als wären es Tatortskizzen oder Zeitzeugen. Am Boden, wo auch die Studenten während ihres Ungehorsams schliefen, hat sie Matten aufgelegt, Kleidungsstücke vertreten die einstigen Akteure. Plausible Bilder, aber trotzdem nicht wahr.

Neues Film- und Fotomaterial lässt Polska stets "alt" wirken, ebenso nutzt sie zeithistorische Abbildungen aus Zeitungen oder Magazinen. Ihr Fake ist jedoch nie perfekt, verleiht sie dem ästhetisch ebenso nostalgischen wie reizvollen Mix aus Rekonstruktion und Montage, Manipulation und Ausschmückung durch Pausen, Einstellungen und fremde Bilder doch auch etwas Surreales, Artifizielles.

Wie beeinträchtigen Dokumentationen die Bedeutung eines historischen Ereignisses? Polska schürt Skepsis. "Der Weisheit Anfang ist der Zweifel", sprach bereits Aristoteles.  (Anne Katrin Feßler, DER STANDARD, 2.8.2013)