"Berlusconi ist tot, es lebe Berlusconi!" So reagierte Beppe Grillo auf das Erkenntnis des römischen Kassationsgerichtshofes. Er, der wie sein Populistenkollege Silvio Berlusconi mit herkömmlichen politischen Maßstäben schwer zu messen ist, verglich das Urteil mit dem Fall der Berliner Mauer. Denn die habe Deutschland für 28 Jahre geprägt, der Cavaliere tue dies in Italien seit nunmehr 20 Jahren. Man mag Grillo ein gutes Gefühl für das zugestehen, was in den Eingeweiden der italienischen Öffentlich vorgeht. Aber die Ära Berlusconi, ist sie tatsächlich vorbei?

Fakt ist, dass der Mailänder Medienmogul einen ersten rechtskräftigen  Schuldspruch in den rund 30 anhängigen oder abgeschlossenen Verfahren gegen sich zur Kenntnis nehmen muss. Auch wenn nicht die vierjährige Haftstrafe wegen Steuerbetruges sondern gelindere Mittel zum Tragen kommen, lässt sich das nicht wegdiskutieren. Fakt ist auch, dass sich aller Wahrscheinlichkeit nach nichts am Politikverbot gegen den früheren Ministerpräsidenten ändern wird. Die römischen Höchstrichter haben das Berufungsgericht in Mailand dazu aufgefordert, dessen Länge neu zu bemessen. Bis es soweit ist und der Kassationsgerichtshof wieder darüber befinden kann vergehen vermutlich einige Monate, in denen Berlusconi weiterhin Senator bleiben darf. Dann allerdings ist Schluss.´

Die Frage ist, welche Konsequenzen das für die italienische Innenpolitik zeitigen wird. Berlusconi hat seine Parteigänger unmittelbar nach dem Urteil in seinem römischen Palazzo zusammengerufen. Dass er die Regierung unter Enrico Letta weiter stützen wird, scheint eher unwahrscheinlich. Insofern ist die Nachricht vom politischen Tod Berlusconis möglicherweise doch etwas verfrüht verbreitet worden. Denn auch wenn Berlusconi nicht mehr im Parlament sitzt, solange er – nicht nur im politischen Amt – lebt, wird er der bestimmende Faktor in der Politik des Bel Paese bleiben.

Und selbst nach einem Verscheiden wird er weiterwirken. Denn er hat er das salonfähig gemacht, was seine schärfsten Kritiker schon vor Jahren "Berlusconismus" genannt haben – jene unverschämte, vulgäre und grenzenlose Selbstbedienungsmentalität einer scheinbar unantastbaren Politikerkaste, der es nur um Posten und Macht, aber nicht im geringsten um Staat und Gemeinwohl geht.

Dieser Berlusconismus wird nicht nur von seinen eigenen Leuten weitergetragen. Er hat auch die notorisch zerstrittene linke Opposition seit langem infiziert. Ende der 1990er-Jahre etwa hat Ministerpräsident Massimo D'Alema den stehend k.o.-gegangenen Berlusconi im Ring gelassen und in eine Verfasssungsreformversammlung einzubinden versucht. Zwei Jahre später war Berlusconi wieder der Chef im Ring und im Palazzo Chigi, dem Amt des italienischen Premiers. Und selbst jemand wie der seltsame Beppe Grillo ist ein indirekter Sproß dieser Geisteshaltung – aus dieser Perspektive hören sich sein "Berlusconi ist tot, es lebe Berlusconi!" und der Vergleich mit der Berliner Mauer ganz anders an.

Deutschland hat zwei Jahrzehnte gebraucht, um die Spaltung zu überwinden. Italien wird noch länger benötigen, um den Berlusconismus auszutreiben. So gesehen war die seinerzeitige Einschätzung des Leibarztes des Cavaliere nach diversen Liftings und Anti-Aging-Kuren, dass Berlusconi "theoretisch ewig leben" könne, womöglich gar nicht so falsch. (DER STANDARD, 2.8.2013)