Mario Moretti Polegato in seiner Villa Sandi, wo er am liebsten bloßfüßig wandelt.

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DER STANDARD: Gegen übermäßigen Fußschweiß sollen Fußbäder mit Tomatensaft (0,5 Liter auf 2 Liter Wasser) helfen. Wussten Sie das?

Mario Moretti Polegato: Ich glaube, ich versteh Sie nicht.

DER STANDARD: Wir reden über Fußschweiß. Mit Ihrem Kampf gegen diesen brachten Sie es zum zweitgrößten Schuhproduzenten der Welt. Ist das Problem wirklich so groß?

Polegato: 90 Prozent der Bevölkerung leiden darunter, wenn sie auf Gummisohlen gehen. Ein Drittel der Schweißdrüsen befinden sich in den Fußsohlen. Niemand hat dieses Problem erkannt. Ich schon. Die atmende Membran in meinen Schuhen ist eine Revolution im Schuhgeschäft. Immerhin haben wir im Jahre 2008 mehr als 20 Millionen Paar Schuhe produziert.

DER STANDARD: Es heißt, Sie hatten die Idee beim Joggen in Nevada, als Sie mit einem Schweizermesser Löcher in Ihre Sohlen schnitten. Die Geschichte haben Sie bestimmt unzählige Male erzählt.

Polegato: Oft entsteht eine gute Idee in einem Forschungsteam in einem Labor. Manchmal aber hat einer ganz allein einen solchen Einfall. Diese Geschichte von Nevada erzähle ich vor allem meinen Studenten. Ich gebe Vorlesungen am MIT in Boston, in Cambridge, an der Sorbonne und an vielen anderen Universitäten. Ich möchte junge Menschen dabei unterstützen, an neue Ideen zu glauben. Das ist mir sehr wichtig.

DER STANDARD: Aber lieber nicht am Schuhsektor, oder?

Polegato: Klar will ich mir keine Konkurrenten heranzüchten. Aber solche Ideen sind in unzähligen anderen Bereichen möglich. Warum zum Beispiel nicht auch im Möbelbereich?

DER STANDARD: Auf die Frage, wann Sie zum letzten Mal Schweißfüße hatten, antworten Sie wahrscheinlich mit: 'Damals in Nevada.' Stimmt's?

Polegato: So ist es.

DER STANDARD: Sie sind also Erfinder und auch Geschäftsmann.

Polegato: Beides zu sein ist schwierig. Ich wurde Geschäftsmann, weil ich niemanden fand, der mir half, meine Idee weiterzuentwickeln. Ich würde mich mehr als Erfinder bezeichnen.

DER STANDARD: Kann man Ihre Geschichte mit der eines James Dyson in der Staubsaugerbranche vergleichen?

Polegato: Absolut. Auch er machte einen Traum wahr.

DER STANDARD: Nike und Adidas haben Sie damals heimgeschickt, als Sie mit Ihrer Idee vorstellig wurden. Sind Sie heute froh darüber?

Polegato: Auf der einen Seite war ich damals natürlich sehr enttäuscht. Sie fragten mich, ob es irgendwelche wissenschaftlichen Untersuchungen bezüglich meiner Idee gäbe, und ließen mich abblitzen. Heute bin ich natürlich froh. Meine Firma ist eine Weltmarke.

DER STANDARD: Ist es für Ihre Geschichte von Bedeutung, dass Sie Italiener sind?

Polegato: Auf jeden Fall. Das ist ein großes Glück. Die Leute mögen das Image italienischer Schuhe, das Leder, den Stil, das ganze Drumherum. Italien steht für gutes Design. Wenn man das noch mit Technologie verbinden kann, dann ist das perfekt.

DER STANDARD: Das heißt, als Österreicher hätten Sie es schwerer gehabt?

Polegato: Ja, aber ihr habt doch eine tolle Tradition, was das Handwerk des Schuhmachens betrifft. Klar, diese Schuhe sind nicht sehr trendy oder modisch.

DER STANDARD: Manche Leute meinen, Geox habe in Sachen Mode-Design ein Defizit.

Polegato: Danke für diese Frage. Als wir in Österreich starteten, bewarben und verkauften wir dieselbe Kollektion, die es auch in Deutschland gab. Die war anders als die italienische. Die Deutschen haben einen anderen Geschmack, das mag auch mit dem Wetter, mit dem Klima zu tun haben. Viele Österreicher kauften Geox in Italien, also einen anderen Style. Das haben wir kapiert, und jetzt kann man in unseren Geschäften auch die italienische Kollektion kaufen. Wenn Sie sich hier umschauen, finden Sie sehr modische Stücke. Damit haben wir in Österreich erst vor einer Saison begonnen. Jetzt besteht die Gesamtkollektion aus 400 Teilen.

DER STANDARD: Stimmt es, dass Sie Ihre Brillen selbst designen?

Polegato: Ja, und ich besitze viele Brillen. Jede ist anders. Diese schwarz-weiße mag ich besonders gern, weil ich die schon hatte, als ich mit Geox anfing. Sie ist also meine Glücksbrille.

DER STANDARD: Wie viel Paar Schuhe besitzen Sie?

Polegato: Sehr viele. Vielleicht 100.

DER STANDARD: Alle von Geox?

Polegato: Nein, ich bin nicht eifersüchtig. Manchmal möchte ich andere Marken auch nur ausprobieren. Aber ich bin bloße Gummisohlen nicht mehr gewöhnt.

DER STANDARD: Die Schuhe, die Sie gerade tragen, schauen aus wie die eines britischen Geschäftsmannes. Auch Geox?

Polegato: Ja. Diesen Stil gibt's bei vielen Marken zu kaufen. Aber was ist der Unterschied?

DER STANDARD: Die Sohle.

Polegato: Richtig.

DER STANDARD: Was tragen Sie zu Hause in Ihrem Schloss für Schuhe?

Polegato: Daheim gehe ich barfuß, weil der beste Schuh gar kein Schuh ist. Der Name Geox steht ja auch für Erde. Das 'x' steht für die Technologie.

DER STANDARD: Ihre Technologie nimmt die Transpiration durch die Innensohle auf und gibt sie in Form von Wasserdampf nach außen ab. Wie ist das umgekehrt? Kann da nicht auch etwas von außen in den Schuh hinein?

Polegato: Nein, die Wasserdampfmoleküle sind kleiner als die Mikroporen der Membran. Wassertropfen aber sind 700-mal größer und können von außen nicht eindringen.

DER STANDARD: Warum haben Sie sich entschlossen, neben Schuhen auch Kleidung zu produzieren?

Polegato: Wir sind auch ein Technologieunternehmen. Zwei Prozent unseres Umsatzes investieren wir in Forschung. In unserem Headquarter in Treviso arbeiten 15 Ingenieure. Wir sind draufgekommen, dass die Atmungsfähigkeit auch in anderen Textilien zum Einsatz kommen kann. Man schwitzt ja nicht nur an den Füßen. Gerade im Schulterbereich kann sich viel Feuchtigkeit stauen.

DER STANDARD: Sie gehören zu den 300 reichsten Menschen der Welt. Was bedeutet Ihnen Reichtum?

Polegato: Wenn ich zu meinen Studenten spreche, erkläre ich ihnen, was sie tun müssen, wenn sie eine gute Idee haben. Wie sie diese zu einem Geschäft machen können und so in die Forbes-Liste kommen. Für mich selbst ist Geld nicht wichtig. Ich arbeite sehr gern und hart für meine Projekte. Geox zählt 30.000 Mitarbeiter. In Italien leben 56 Millionen Menschen. Vergangenes Jahr haben wir dort sieben Millionen Paar Schuhe verkauft.

DER STANDARD: Sie sagten einmal, dass jeder Mensch in einer ruhigen Stunde schon einmal etwas erfunden hat. Ich habe nachgedacht. Mir fällt beim besten Willen nichts ein.

Polegato: Wichtig für eine gute Idee sind Ruhe und Optimismus. Wenn man nervös ist, kann einem nichts einfallen.

DER STANDARD: Vielleicht bin ich zu nervös.

Polegato: Aber nein, man braucht, wie gesagt, Ruhe. Ich finde diese an den Wochenenden auf dem Land, in meinem Haus. Das Ambiente ist auch wichtig, um herausfinden zu können, was möglich ist.

DER STANDARD: Sie eröffneten gerade diesen Flagship- Store in der Mariahilfer Straße. In Österreich gibt es mittlerweile 31 Geox-Geschäfte. Haben Sie zu Österreich ein besonderes Verhältnis?

Polegato: Als ich jung war, verbrachte ich meine Ferien oft in Bad Gastein und Salzburg. Und mit meinem Vater war ich früher im Prater. Als ich heute angekommen bin, hab ich daran denken müssen.

DER STANDARD: Sind österreichische Füße anders als italienische?

Polegato: Österreicher und Italiener sind einander sehr nahe. Viele Österreicher machen Ferien am Meer, lieben den italienischen Stil und die Küche - aber auch umgekehrt. Italiener kommen gern nach Österreich, fürs Wochenende, oder sie gehen in die Berge. Ich denke, die Beziehung dieser Länder ist sehr stark.

DER STANDARD: Ich las, dass auch Silvio Berlusconi Geox trägt. Ist das eine gute Werbung?

Polegato: Schon, aber nicht nur Berlusconi trägt unsere Schuhe.

DER STANDARD: Auch der Papst.

Polegato: Ja, auch der. Wir haben eine lange Liste von Stars, die unsere Schuhe tragen. (Polegato reicht die Liste, auf der sich Namen wie Angelina Jolie, Russel Crowe oder Barack Obama finden, Anm. der Red.) Das Interessante ist, dass die sich die Schuhe selber kaufen.

DER STANDARD: Wen hätten Sie denn am liebsten auf der Liste? Wer fehlt noch?

Polegato: Die Welt ist groß, und wir haben Geduld, bis alle auf der Liste sind. (Michael Hausenblas/Der Standard/rondo/02/04/2010)