In mittlerweile fünfter Generation fertigt Familie Lobb edelstes Schuhwerk: John Lobb senior und junior.

Foto: Martin Mai

Der Leisten von Frank Sinatra...

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...und ein Paar neuer Lobbs.

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Wir stören ihn beim Essen. John Lobb sitzt im Bistro des St. James und genießt Tintenfisch auf Knoblauch-Mus. "Allerdings so zubereitet, dass man danach noch Menschen gegenübertreten kann", schmunzelt er. Im St. James Hotel hat sich William Drabbel gerade einen Michelin- Stern erkocht und die Nachbarschaft, so auch John Lobb, will sich ein eigenes Bild machen: "Ob ich meinen Klienten empfehlen kann, hier zu essen." Es geht, um Gottes willen, nicht um das eigene Vergnügen. Obwohl Lobb auf dem kurzen Weg in seinen Shop einen sehr vergnügten Eindruck macht.

Lobb grüßt fröhlich einige Herren in maßgeschneiderten Anzügen und plaudert weiter: "Wir sind zwar nur zwei Minuten von Piccadilly Circus, aber trotz der Touristenströme trifft man immer wieder auf die gleichen Gesichter." Dann (endlich) der Shop des Hoflieferanten. Die Vision von Plüschteppichen, Mahagoniregalen und distinguierter englischer Atmosphäre erfüllt sich nur teilweise. Der Erdgeschoßladen in der St. James Street 9 mit den dezenten Auslagen ist Werkstatt und Showroom in einem. In den Vitrinen werden Preziosen aus Leder ab 2400 Euro gezeigt. "In der mittlerweile fünften Generation", wie John Lobb erzählt.

Im grauen Anzug steht er mitten im Raum, im Hintergrund unter der Galerie des ersten Stocks werkeln sieben Männer an den wahrscheinlich längst heiß ersehnten Maßschuhen, umwölkt von betörendem Ledergeruch, französischem Kalbsleder, um genau zu sein. "Das Delikateste sind eigentlich die Schnittmuster", erläutert John Lobb, tritt an eine der Werkbänke und wedelt mit einem Stapel zusammengehefteter Papierschnipsel. Bis zu 62 solcher Schnipsel werden zu einem Schuh.

Aber von Anfang an: Der solvente Kunde wird als Erstes vermessen. Es entstehen 3-D-Modelle, die sogenannten Leisten. Fußabdrücke, die, in Holz geschnitzt, "bis zu 20 Jahren bei uns lagern". Manche auch länger. "Den Leisten von Frank Sinatra, Caruso und Jackie Kennedy behalten wir natürlich ewig." Die 20-Jahres-Frist ist für "normale" Kunden, die sich oft nur ein Paar Lobbs im Leben leisten. Das sollte auch langen, denn angeblich halten die Schuhe bei entsprechender Pflege ein Menschenleben. "Aus der Mode kommen die klassischen Modelle nicht", so Mr. Lobb. Dabei ist er, was die Ästhetik angeht, extrem entspannt: "Sie können mit einer eigenen Skizze kommen, und wir fertigen daraus ihren Schuh." Zufällig steht er neben einer echten Scheußlichkeit, einem Herrenstiefel, der Fuß in cognacfarbenem Glattleder, der Schaft in hellbeigem Wildleder. Lobb ist Gentleman und schweigt, angesprochen auf das absurde Schuhwerk. Zu ihm gesellt sich sein Sohn John William Lobb junior. Er, der traditionsbewusst und engagiert die Nachfolge seines mittlerweile mehr als 70-jährigen Vaters antritt, sagt: "Wir verstehen uns nicht als Designer, wir sind Handwerker."

Das Allerheiligste im Keller

Was für welche wird beim Abstieg in die Katakomben klar. Das Allerheiligste im fensterlosen Keller ist ein Lager mit 3,50 hohen Regalen, die vollgestopft sind mit Leisten. Wie viele es sind, können Vater und Sohn nur schätzen. "So um die fünftausend." In einem anderen Raum zeugen Regale mit dicken Büchern von der jahrhundertealten Tradition. Wie in einem Steuerbüro der Vor-Computer-Zeit wird in den dicken Wälzern jeder Auftrag festgehalten und in verschiedenen Spalten der Stand der Dinge abgehakt. Auftragsannahme, Leisten, Skizzen, Modell, daneben das Datum und nicht zu entziffernde Kürzel.

Es staubt gewaltig - nicht in übertragenem Sinne. "Schuhemachen ist eine schmutzige Angelegenheit", schmunzelt John Lobb senior. Die Füße der elitären Kundschaft sind es mit Sicherheit nicht. Und die wirklich wichtigen werden selbstredend zu Hause aufgesucht - zu Hause im Buckingham Palace zum Beispiel. Charles und sein Vater Prinz Philip zum Beispiel.

Aber sogar Frank Sinatra macht sich selber auf die Socken zu Lobb. In einem unscheinbaren Holzschränkchen neben der "Bibliothek" sind die Füße der Stars untergebracht. "Unser Giftschrank", bemerkt John Lobb senior mokant. Jackie Kennedys Abdruck liegt in trauter Eintracht neben dem ihres zweiten Gatten Aristoteles Onassis. Und die Stars von heute? Schweigen. Johnny Depp trägt Lobbs. Prinz William. Daniel Craig. Schweigen. Es wird nicht so richtig klar, ob es britisches Understatement ist, das die Sprachlosigkeit auslöst, oder ob sich die beiden Lobbs nicht in der Riege der Celebrity-Ausstatter sehen wollen.

Königshaus als Kunde

Wichtig ist ihnen eigentlich nur das englische Königshaus: "Es ist eine Ehre, für den Palast zu arbeiten", sagt John Lobb junior. Er ist der Typ perfekter Schwiegersohn, etwas wortkarg und ohne den gewitzten Humor seines Vaters. Vielleicht ein Gentleman-Phänomen, das sich mit zunehmendem Alter entfaltet. Immerhin: Seit 22 Jahren ist er in dem Familienunternehmen, musste sich wie jeder andere Mitarbeiter Lehrjahre antun. Die Mitarbeiter sind Experten für je einen Bereich: Zuschnitt, Leisten, Schnittmuster. "Wir bilden selbst aus, anders könnten wir keinen Nachwuchs rekrutieren. Doch wer einmal dabei ist, der bleibt", sagt Lobb junior. 38 sind es aktuell, seit 1974 auch Frauen. Lobb junior ist jetzt - in der fünften Generation - Direktor. Ein Triumvirat leitet das Unternehmen - Vater und zwei Söhne. Aber nur der Vater sitzt im Aufsichtsrat von Hermès.

Hermès? Ja, denn die Pariser Lobb-Dependance, die 1914 eröffnet wurde, ist 1976 an Hermès verkauft worden. "Inklusive der Rechte am Namen William Lobb und der Produktionsstätten der William Lobb Shoes - mit Ausnahme der Maßschuhwerkstatt in der St. James Street", betont Vater Lobb. Für sämtliche Beteiligten eine "belle alliance": Hermès hat ein weltweites Vertriebsnetz für William-Lobb-Maß- und -Konfektionsschuhe aufgebaut.

Heute können in zwölf Metropolen Lobbs erstanden werden, so auch in Wien, bei Amicis - sie werden direkt neben Luxussneakern angeboten. "Das stört uns nicht", betont Lobb junior. Hat er denn selbst ein Paar Turnschuhe im Kleiderschrank? "Ich jogge zuweilen, da ergibt sich das", sagt er. Für ihn sind es "Funktionsschuhe", und in der Stadt, geschweige denn im Shop, wird man ihn nie darin erwischen. Ist ihm die Tradition keine Last? "Nein. Handwerk auf hohem Niveau ist ein Ausdruck von Kultur. Ich bin im Gegenteil sehr zufrieden mit dem Leben, das ich führe." Lobb senior schaut ihn zufrieden an. Die Tradition der königlichen Schuhe wird weiter- gehen. (Andreas Toelke/Der Standard/rondo/02/12/2011)