Die EU hat im Moment andere Sorgen: Sie muss sich auf die Realität einstellen, dass Wladimir Putin einen fundamental feindseligen Kurs gegenüber dem Westen eingeschlagen hat. Da bleibt nicht viel Raum für die Beschäftigung mit den beunruhigenden Vorgängen in einem relativ kleinen EU-Mitgliedsland wie Ungarn.

Aber Ungarns autoritärer Herrscher Viktor Orbán wird soeben zu einem kleinen Putin innerhalb der Europäischen Union. Er nimmt sich ganz offen Putin (und einige andere autoritäre Führer wie Erdogan) als Vorbild, er hat angekündigt, die Sanktionen der EU gegen Russland zu unterlaufen, und er hat - nach jahrelangem scheibchenweisem Abbau demokratischer Rechte in Ungarn - jetzt offen der (liberalen) Demokratie den Kampf angesagt.

Orbán wählte dazu bewusst einen Ort, der außerhalb Ungarns liegt, seinem nationalistischen Selbstverständnis nach aber irgendwie zu Ungarn gehört. In der Stadt Tusnad in Transsilvanien (Rumänien), wo viele ethnische Ungarn wohnen, verkündete er in einer Grundsatzrede: "Die liberale Demokratie ist am Ende. Sie garantiert den ungarischen Familien keinen Wohlstand und keinen Schutz der nationalen Interessen mehr. Der ungarische Staat wird sich nicht weiter an liberale Werte halten."

"Das heißt: Indem wir uns von den in Westeuropa akzeptierten Dogmen und Ideologien lossagen und uns von ihnen unabhängig machen, versuchen wir, die Organisationsform der Gemeinschaft, den neuen ungarischen Staat zu finden." Statt den westlichen Mustern zu folgen, sollten die Ungarn lieber in andere Richtungen schauen: Russland, China, Singapur, die Türkei, alles autoritäre Herrschaften. Orbán: "In diesem Sinne ist also der neue Staat, den wir in Ungarn bauen, kein liberaler Staat, sondern ein illiberaler Staat."

Das hätte Putin nicht deutlicher sagen können. Tatsächlich hat Orbán längst aus dem Rezeptbuch Putins abgeschrieben: die Opposition und die kritischen Medien mit allerlei Tricks geknebelt, die ausländischen NGOs als "feindliche Agenten" identifiziert, den öffentlichen Sektor (samt EU-Geldern) den politischen Kumpanen zugeschanzt. Dazu als Krönung eine völkisch-nationalistische Politik: die ungarischen Minderheiten in der Slowakei und Rumänien vereinnahmt (siehe Krim, siehe Ostukraine).

Orbán ist, wie Putin, demokratisch, aber nicht fair gewählt. Seine Misserfolge in der Wirtschaft kompensiert er durch Sonderbesteuerung ausländischer Firmen, vor allem der Banken. Nun haben gerade österreichische Banken zu viele Fremdwährungskredite in Ungarn gewährt. Orbán nutzt das, um unter populistischem Vorwand das Geld für die Weiterfinanzierung seiner Pleitewirtschaft zu beschaffen.

Österreich war bisher mehr als nachsichtig, ja sogar unterstützend gegenüber Orbán. Die ÖVP sperrt sich gegen den Hinauswurf von seiner Partei Fidesz aus der Europäischen Volkspartei.

So wie Putin die alte Sowjetunion will Orbán das alte, viel größere Ungarn vor dem Ersten Weltkrieg wiederhaben, zumindest als Einflussgebiet. Den Begriff "Freiheit" definiert er um als Freiheit der "nationalen Werte".

Dieser Kurs kann nur zu endgültiger Demontage der Demokratie im Inneren und zu außenpolitischen Konfrontationen führen; die EU hat scheinbar andere Sorgen, aber die ungarische Sorge hängt mit der russischen Sorge eng zusammen. (Hans Rauscher, DER STANDARD, 9.8.2014)