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Der Völkermord in Ruanda 1994 hat eine ganze Generation von Menschen traumatisiert - 800.000 Menschen wurden getötet. Die Gesellschaft leidet bis heute an den Folgen sind.

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Genozide, Massenmord und Bürgerkriege scheinen mit ihren Konsequenzen die Menschheit ständig zu begleiten. Für die Bewältigung der Folgen sind soziale und wirtschaftliche Hilfe eventuell wichtiger als Justiz und historische Aufarbeitung.

Dies erklärte am Mittwoch Harvey Weinstein von der Universität von Kalifornien (USA) beim "Psychotrauma"-Symposium des Psychosozialen Zentrums (ESRA) in Wien.

Das Symposium über Erkenntnisse der Wissenschaft und die Verantwortung der Gesellschaft bezüglich der psychischen Konsequenzen von Traumata durch Katastrophen, durch den Menschen verursachte Gewalt (Holocaust, Genozide, Folter, Vertreibung) und Missbrauch wurde von ESRA aus Anlass seines 20-jährigen Bestehens organisiert.

Das Zentrum der jüdischen Gemeinde Wiens sorgte zunächst vor allem für Holcaust-Opfer und deren direkten Nachfahren. Mittlerweile gibt es einen weiteren Schwerpunkt bei traumatisierten Flüchtlingen und Opfern von Naturkatastrophen oder Unfällen.

Pro Jahr werden rund 3.000 Personen, vor allem solche mit Posttraumatischen Belastungsstörungen, psychosozial betreut bzw. behandelt.

Gespaltene Gesellschaft heilen

Nach durch den Menschen massenhaft hervorgerufenen Traumatisierungen infolge von Kriegen, Bürgerkriegen und Verfolgungen bestimmter ethnischer oder religiöser Gruppen stellt sich immer wieder die gleiche Frage: Wie kann eine auf diese Weise gespaltene Gesellschaft in einem Staat wieder funktionieren.

Weinberg, der am Human Rights Center der Universität von Kalifornien (Berkeley) seit Jahrzehnten mit entsprechenden Forschungen beschäftigt ist: "Im Jahr 1997 bin ich mit einer Gruppe von 40 bis 50 Überlebenden des Massakers von Srebrenica in Sarajewo auf einen Berg gegangen. Ich habe gefragt, wie man sich denn eine Versöhnung vorstellen könnte. Eine ältere Frau ist aufgestanden, hat mir einen kleinen Buben gezeigt und geschrien: 'Das ist mein Enkel. Ich werde ihn zu hassen lehren, ich werde ihn lehren, jene zu töten, die uns das angetan haben'."

Die internationale Staatengemeinschaft verfolge oft schnell den Weg der Gerichte, um Schuldige aufzuspüren und zu verurteilen, meinte der US-Experte.

Man investiere auch viel in Historiker-Kommissionen, welche die wahren Abläufe solcher gewaltsamer Ereignisse zweifelsfrei klären sollen. Doch die eine "Wahrheit" gebe es nicht. Und wer auch immer sich für ein "Opfer" halte, sei für eine rationale Aufarbeitung zumeist nicht erreichbar.

Westliche Illusion von Versöhnung

Nicht alle Opfer wären "gut". "In den westlichen Industriestaaten setzt man auch zu schnell auf das Konzept der Versöhnung. Das ist der Wunsch nach einem möglichst schnellen 'Happy End'", sagte Weinberg.

Der US-Wissenschafter und andere Autoren haben in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten große Umfragen, zum Teil auch wiederholt, unter der Bevölkerung nach Bürgerkriegen, Genoziden und Massakern durchgeführt. In den Staaten Ex-Jugoslawiens waren es 1.600 Probanden, in Ruanda, 2.1000, in Uganda 2.600. Daten wurden auch in Afghanistan und Kambodscha gesammelt.

Dabei stellte sich laut Weinberg heraus, dass die Betroffenen Bedürfnisse und Wünsche hätten, die oft zu kurz kämen. "Die Justiz bzw. 'Gerechtigkeit' wurde jeweils nur von wenigen Prozent der Befragten als besonders wichtig gefordert. In Norduganda ging es zu 45 Prozent um Berufsmöglichkeiten, zu 31 Prozent um die Sicherstellung einer Ausbildung, nur zu drei Prozent um 'Gerechtigkeit'."

In Kambodscha waren den Überlebenden des Khmer Rouge-Regimes zu 83 Prozent Jobs am wichtigsten, zu 20 Prozent die Gewährleistung der Lebens-Grundbedürfnisse und zu 17 Prozent eine gute Ernährung." Ein sozialer Aufholprozess könnte somit ein wichtiger Bestandteil der Strategie sein.

Grad von Traumatisierung

Vor allem, Patienten mit schwersten Posttraumatischen Belastungsstörungen könne man, so Weinberg, ja behandeln.

Aber vor der Masse der weniger Geschädigten müssten fast alle Initiativen kapitulieren. In Afghanistan wiesen je nach Region sieben bis 70 Prozent der Bevölkerung eine Trauma-Störung auf, 20 bis 45 Prozent litten an Depressionen.

Doch auch jene Menschen, die nach solchen Ereignissen nicht klar psychiatrisch krank sind, haben mit den Folgen des Erlebten zu kämpfen. (APA, derStandard.at, 22.10.2014)