Wien – Sie sitzen im Halbschatten auf selbstgebauten Hockern aus Holz und Karton oder auf bunten Decken im Gras. Vor ihnen steht das "fliegende Klassenzimmer", ein Tuk-Tuk, also ein dreirädriger Motorroller, mit dem Unterrichtsmaterialien, Kreidetafeln, aber auch Kuchen und Mineralwasserflaschen transportiert werden. Etwa 35 Personen sind zur offenen Schule im Alois-Drasche-Park im vierten Bezirk in Wien gekommen. Es wird zu den Themen Inspiration und Design vorgetragen.

derstandard.at/von usslar

"Openschoool" ist ein nachbarschaftliches, niederschwelliges Bildungsprojekt; Unterricht, an dem jeder teilnehmen kann, ob als Schüler oder Lehrer. Denn jeder wisse etwas, das er anderen beibringen könne, jeder habe Talente, die er mit anderen teilen könne, sagt Jakob Listabarth, Mitinitiator der "Openschoool". Es gehe darum, miteinander zu lernen, ohne Hierarchien zwischen Lehrenden und Lernenden.

Karma-Ökonomie

Listabarth studiert Grafik und baute "Openschoool" gemeinsam mit dem Berliner Architekten Van Bo Le-Mentzel auf, der für seine Hartz-IV-Möbel und als Begründer der "Karma-Ökonomie" bekannt ist. Im Rahmen der Vienna Biennale 2015 und der Ausstellung "2051 – Smart Life in the City" wurde er vom Museum für Angewandte Kunst (MAK) beauftragt, das Projekt zu entwickeln.

Maria von Usslar

Als Teil des "Openschoool"-Projekts finden jeden Montag im August die Speak-out-Mondays im Alois-Drasche-Park statt. Vortragende melden sich vorab an oder werden von den Veranstaltern eingeladen. So zum Beispiel Annemarie Harant, die ein Start-up-Unternehmen für ökologisch nachhaltige Frauenhygieneprodukte gegründet hat. Ihr gefalle, dass Openschoool "locker und ungezwungen" sei, dass man sich dort Fragen zu stellen traue, die man bei konventionellen Vorträgen nicht stellen würde.

Bürgerlicher Bezirk

Schülerinnen und Schüler, die etwa über Facebook erreicht werden, kommen oft auch aus anderen Stadtteilen. Andere wohnen im Grätzel und sind zufällig vorbeigekommen. Gernot, ein Anrainer, freut sich über die Initiative. Er wünsche sich intensiveren Austausch mit seinen Nachbarn, was ihm im bürgerlichen Vierten bisher noch nicht gelungen sei. Openschoool sei deshalb "eine super Sache": "Da braucht es in der Wieden mehr davon." Um das Grätzel nachhaltig zu beleben, müsse man das Projekt aber langfristig aufbauen und betreuen. Ein Monat sei zu kurz.

Maria von Usslar

Jakob Listabarth, der selbst im vierten Bezirk wohnt, stimmt zu. Noch sei aber unklar, wie es mit der Initiative weitergehen werde.

Bildungs- und Nachbarschaftsgedanke seien jedenfalls nicht voneinander zu trennen. Einmal habe jemand spontan beim Umbauen des Tuk-Tuks geholfen, ein anderes Mal sei er mit einem Passanten wegen des Nudelsalats, den er mitbrachte, ins Gespräch gekommen – von ihm habe er einige gute Rezepte gelernt, erzählt Listabarth. Er nennt das Phänomen "Tuk-Tuk-Effekt": Wer das schräge Gefährt im Park oder auf der Straße sehe, bleibe stehen und frage nach. So komme man ins Gespräch und lerne voneinander.

Obertonsingen und Türkischunterricht

Die Initiatoren betreiben auch einen Bildungstreff im Internet. Unter openschoool.org können Lernwünsche oder Workshopangebote deponiert werden. Derzeit finden sich dort etwa ein Volksschullehrer, der Türkisch lernen möchte, und ein Gesangslehrer, der Kurse in "Obertonsingen" anbietet. (Christa Minkin, 12.8.2015)