Wien/Neusiedl am See/Eisenstadt – Nach dem Flüchtlingsdrama auf der Ostautobahn (A4), bei dem am Donnerstag bei Parndorf mehr als 70 tote Flüchtlinge im Laderaum eines Kühl-Lkw gefunden wurden, sind mehrere mutmaßliche Schlepper festgenommen worden. Vom Innenministerium gab es zunächst keine Bestätigung.

Die Toten sind laut krone.at erwachsene Frauen und Männer, Kinder sollen keine gefunden worden sein. Die Politik diskutiert währenddessen über die Konsequenzen aus dem Drama.

Innenministerin Johanna Mikl-Leitner (ÖVP) fordert, dass Asylsuchende, die Chancen auf Anerkennung als Flüchtlinge haben, legal in die EU einreisen können. Derzeit ist das nicht der Fall, Flüchtlinge sind de facto gezwungen, sich in die Hände von Schleppern zu begeben.

Mikl-Leitner präzisierte im ORF ihren schon öfter geäußerten Vorschlag von "Anlaufstellen" an den EU-Außengrenzen. In der "ZiB 2" am Donnerstagabend sagte sie, es sei wichtig, "legale Wege nach Europa zu schaffen". Sie fordert, dass das UN-Flüchtlingshochkommissariat Zentren "in Krisenregionen" errichtet, um "Menschen auf legalem Wege nach Europa zu bringen". Danach sollten die Flüchtlinge über "faire Quoten" auf die EU-Mitgliedsstaaten aufgeteilt werden.

Kampf gegen Schlepper verschärfen

"Damit entziehen wir den Schleppern die Geschäftsgrundlage", glaubt die Innenministerin, die gleichzeitig den Kampf von Justiz und Polizei gegen Schlepper verschärfen will.

Schuld an der Tragödie im Burgenland und an anderen Flüchtlingsdramen seien "die Terroristen, vor denen die Menschen fliehen, und Menschen, die Flüchtlinge in Lastwagen stecken und grausam sterben lassen", sagt Mikl-Leitner.

Leichenbergung in Nickelsdorf

Im Burgenland laufen die Ermittlungen auf Hochtouren. Der Lkw mit den toten Flüchtlingen wurde am Donnerstag nach Nickelsdorf gebracht worden. "Die Kollegen waren die ganze Nacht im Einsatz und haben Leichen geborgen", sagte Polizeisprecher Helmut Marban am Freitag.

Die ehemalige Veterinärgrenzdienststelle in Nickelsdorf verfügt laut Polizei über die notwendigen Voraussetzungen, um die Leichen aus dem Lkw zu bergen. Die Toten sollen in die Gerichtsmedizin nach Wien überstellt werden, sobald die Ermittlungen an Ort und Stelle abgeschlossen sind. Weitere Informationen will die Polizei bei einer Pressekonferenz um 11 Uhr in Eisenstadt bekanntgeben.

Kriminalist glaubt, Täter zu finden

Er sei zuversichtlich, dass die Täter und deren Hintermänner gefunden werden, sagte der zuständige Kriminalist Gerald Tatzgern im Ö1-"Frühjournal" am Freitag. Österreichische und ungarische Beamte ermitteln unter Leitung eines Krisenstabs, um die Tat aufzuklären.

Das Schlepperfahrzeug war Donnerstagvormittag auf der Ostautobahn (A4) zwischen Neusiedl und Parndorf entdeckt worden. Das Fahrzeug war in einer Pannenbucht abgestellt, die Toten hätten sich auf der Ladefläche des 7,5-Tonners befunden, sagte Landespolizeidirektor Doskozil. Ob es sich um 20, 40 oder 50 Tote handle, sei weiter unklar.

Fahrzeug seit Mittwoch im Grenzgebiet

Beim Eintreffen der Polizei trat bereits Verwesungsflüssigkeit aus dem Laderaum des Kühlwagens, berichtete Doskozil. Er verwies auf die eingeleiteten Ermittlungen zusammen mit der ungarischen Polizei, wo der Lkw zugelassen sei. Der Lastwagen dürfte in der Nacht auf Donnerstag nach Österreich gebracht worden und an der Autobahn abgestellt worden sein.

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Der Lkw wurde zwischen Neusiedl und Parndorf entdeckt.
Grafik: APA

Die Polizei geht davon aus, dass die Flüchtlinge bereits eineinhalb bis zwei Tage vor ihrer Entdeckung gestorben sind. Es spreche vieles dafür, das sie schon tot waren, als der Lkw die Grenze passierte, sagte Doskozil am Donnerstagabend.

Der Lkw befand sich laut Polizei am Mittwoch um 9 Uhr noch in Ungarn unmittelbar vor der Grenze zu Österreich. In der folgenden Nacht überquerte er die Grenze. Am Donnerstag gegen 5 oder 6 Uhr bemerkten ihn Zeugen in einer Pannenbucht auf der A4 zwischen Neusiedl und Parndorf, berichtete Doskozil.

Auf dem Kühlwagen mit ungarischem Kennzeichen befindet sich der Schriftzug einer slowakischen Hühnerfleischfirma. Laut einem Sprecher des Unternehmens wurden 13 Firmen-Lkw im vergangenen Jahr verkauft. Offenbar habe ein Käufer einen der Transporter nach Ungarn weiterverkauft. Um welches Fahrzeug es sich handle, lasse sich nicht nachvollziehen.

Das Nummernschild des Lkw war von einem Rumänen in der ungarischen Stadt Kecskemét beantragt worden.

Einsatzkräfte vor Ort.
Foto: Christian Fischer

Der Laster wurde an Ort und Stelle kriminaltechnisch untersucht, um alle Beweismittel zu sichern und keine Spuren zu zerstören.

In dem auf einem Pannenstreifen auf der A4 in der Nähe von Parndorf abgestellten Lastwagen dürften mehr als 70 Flüchtlinge ums Leben gekommen sein. (Video: Christian Fischer)
derstandard.at/fischer

Die Polizei wurde am Donnerstag um 11.30 Uhr von Kollegen der Autobahninspektion Parndorf verständigt. Entdeckt wurde der Lkw von einem Mitarbeiter der Asfinag. Dieser war mit Mäharbeiten beschäftigt, als er auf das Fahrzeug aufmerksam wurde. "Ihm ist aufgefallen, dass es dort raustropft", sagte ein Asfinag-Sprecher. Der Mitarbeiter habe "richtig und schnell reagiert und die Polizei informiert". Die Asfinag sperrte im betroffenen Bereich eine Fahrspur.

Kühllaster "unübliches Schlepperfahrzeug"

Zum Zustand der Leichen machten die Ermittler keine Angaben. Den Polizisten habe sich bei der Öffnung des Lkw ein "grauenvolles Bild" geboten, sagte Polizeisprecher Helmut Marban. "Wir befinden uns in der intensiven Erstermittlungsphase", sagte der Leiter der Staatsanwaltschaft Eisenstadt, Johann Fuchs. Fragen zu Nationalität, Alter und Todeszeitpunkt konnte er nicht beantworten.

Vom Fahrer des Lkw fehlt jede Spur. Doskozil geht davon aus, dass der oder die Täter Österreich wieder verlassen haben. Kühllaster seien jedenfalls als Schlepperfahrzeuge untypisch, das Fahrzeug wäre auch bei einer Verkehrskontrolle nicht unbedingt als Schlepperfahrzeug erkannt worden. Üblicher seien Kleinlaster.

Die Polizei erwartet für das Wochenende einen weiteren Anstieg bei den Grenzübertritten von Flüchtlingen, da diese der Fertigstellung des Grenzzauns an der ungarisch-serbischen Grenze zuvorkommen wollen. Die Beamten im Burgenland werden deshalb laut Doskozil durch Kollegen aus Kärnten und der Steiermark unterstützt.

Bischof fordert würdige Bestattung

Der evangelisch-lutherische Bischof Michael Bünker plädierte dafür, den Toten "in würdiger Weise und in ihrer religiösen Tradition" zu begraben und wenn möglich ihre Angehörigen auszuforschen und einzuladen.

EU-Kommissar besucht Österreich

EU-Kommissionsvizepräsident Frans Timmermans und der für Migration zuständige Kommissar Dimitris Avramopoulos zeigten sich am Donnerstagabend schockiert über das Flüchtlingsdrama und den Tod von 50 Bootsflüchtlingen im Mittelmeer am Mittwoch. Es handle sich um kriminelle Handlungen von "Schleppern ohne jeden Skrupel". Avramopoulos will am 7. September nach Wien kommen. (APA, red, Video: Christian Fischer, 28.8.2015)