Die EU-Kommission will Licht ins Dunkel der Bahn-Finanzströme bringen.

Foto: Robert Newald

Wien – Besuch der eher unangenehmen Art bekamen vergangene Woche der ÖBB-Konzern und die Verkehrsverbünde Wien/Niederösterreich (VOR), Oberösterreich und Salzburg. Mitarbeiter der EU-Wettbewerbskommission führten bei den Institutionen Hausdurchsuchungen durch, die laut STANDARD-Recherchen mehrer Tage dauerten. Der Verdacht: Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung – vornehmlich im Schienenpersonenverkehr und zwar auf der Weststrecke zwischen Wien und Salzburg.

Um sich Material und Daten zu sichern, marschierten am Dienstag insgesamt mehr als 30 Personen bei den Verkehrsverbünden und diversen ÖBB-Teilkonzernen ein, nahmen Vorständen beziehungsweise Geschäftsführern die Handys ab (um zu verhindern, dass mögliche andere Betroffene gewarnt werden) und begehrten Zugang zu Buchhaltung und IT. Auch Schriftverkehr und E-Mails von mit der Materie befassten Managern und Mitarbeitern ließen sich die Hausdurchsucher ausfolgen, dann folgten Befragungen.

Finanzflüsse suspekt

Hintergrund der Vorort-Recherche: Der EU-Kommission sind die Finanzflüsse zwischen öffentlicher Hand, ÖBB und den im Einflussbereich der Bundesländer stehenden Verkehrsverbünde suspekt. Sie vermisst Transparenz (auch bei der Preisgestaltung) und wittert mögliche illegale Beihilfen. Um Licht ins Dunkel des zu einem sehr großen Teil staatlich finanzierten Nah- und Regionalverkehrs genau prüfen zu können, durchsuchten die Wettbewerbshüter auch Büros des für Erhaltung und Betrieb des Schienennetzes und den Bahnausbau zuständigen Teilkonzerns ÖBB-Infrastruktur am Wiener Praterstern.

Besonderes Augenmerk wurde den Räumlichkeiten der an der Erdberger Lände im dritten Bezirk situierten Abteilungen Buchhaltung und Rechnungswesen der staatlichen ÖBB gewidmet, inklusive des Teilkonzerns Personenverkehr.

Stöger: nicht informiert

Bei ÖBB-Eigentümer Verkehrsministerium bestätigte man am Dienstag die Hausdurchsuchungen, will über deren Grund laut Angaben eines Sprechers von Verkehrsminister Alois Stöger (SPÖ) aber nicht informiert sein. Offener dagegen die Informationspolitik der ÖBB, die im Zentrum der Ermittlungen steht: Es habe letzte Woche an mehreren Standorten der ÖBB sowie bei drei Verbünden eine sogenannte Nachprüfung der Europäischen Kommission gegeben. "Wir kooperieren natürlich in vollem Umfang mit den Behörden, sehen aber keinen Anlass für die Prüfungen, da es sich um alte Vorwürfe zu Rechtsstreitigkeiten mit der Westbahn handelt", teilte eine Sprecherin schriftlich mit.

Kritische Preisgestaltung

Die Untersuchungen fokussierten demnach auf drei für das Bahnwesen entscheidende Punkte: diskriminierungfreier Zugang zu Fahrwegkapazitäten (Trassen), Preisgestaltung und kartellrechtliche Vorwürfe gegen die Verkehrsverbünde. Der Vorwurf, die Preise der ÖBB seien zu niedrig, ist tatsächlich ein alter Hut, geht es dabei doch um die berühmte "Sparschiene", also Fahrkarten um sieben Euro, die Konkurrent Westbahn stets als Dumpingpreis, also unter Gestehungskosten, beziehungsweise versteckte Subvention gegeißelt hatte. Die ÖBB legitimiert die Aktionspreise mit Preisdifferenzierung, die nun einmal das Hauptmerkmal von Wettbewerb sei. Davon profitierten schließlich die Kunden.

EU-Kommission hat geklagt

Als Hintergrund für die scharfe Vorgangsweise der EU-Kommission nennen Eingeweihte das 2013 eröffnete Vertragsverletzungsverfahren gegen Österreich wegen fehlender Transparenz bei (staatlichen) Geldflüssen zur Finanzierung der ÖBB-Absatzgesellschaften. Anfang Juli 2015 schaltete die Kommission einen Gang höher und klagte Österreich beim Europäischen Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg. Österreich habe die ÖBB-Personenverkehr nicht verpflichtet, öffentliche Ausgleichszahlungen sowie Kosten und Einnahmen für jeden öffentlichen Dienstleistungsauftrag zu veröffentlichen. Die Beklagte "stelle nicht sicher, dass in den entsprechenden Rechnungen die öffentlichen Mittel für die Erbringung öffentlicher Personenverkehrsdienste nach Aufträgen separat aufgeschlüsselt und Kosten und Einnahmen getrennt ausgewiesen und veröffentlicht werden". Das Ministerium kontert, dass eine Aufschlüsselung pro Verkehrslinie in der EU-Richtlinie nicht vorgeschrieben sei.

Wie auch immer der Streit ausgeht: Die Hausdurchsucher waren freundlich, sagte ein Zeuge, sie verabschiedeten sich mit belgischer Schokolade. (Luise Ungerboeck, 1.12.2015)