Gebhard Fartacek forscht schon lange zu Syrien.

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Wien – Schon seit den späten 1990er-Jahren forschte Gebhard Fartacek immer wieder in Syrien. "Als nun das Forschungsfeld quasi zu mir nach Österreich kam", startete der Kulturanthropologe ein Projekt am Phonogrammarchiv der Österreichischen Akademie der Wissenschaften. An dem Institut für audiovisuelle Forschung und Dokumentation werden neben Musik, Sprache und Dialekten auch Oraltraditionen aus allen Teilen der Welt systematisch erhoben und archiviert. In dem aktuellen Projekt "Lebensgeschichten und Perspektiven syrischer Kriegsflüchtlinge in Österreich" wurden nun bisher etwa 20 Interviews geführt, es sollen mindestens noch einmal so viele werden.

"Sehr viele wollen darüber reden, ihre Geschichte loswerden", schildert Fartacek. In den ausführlichen Gesprächen geht es um die Erfahrungen in Österreich, vor allem aber um das frühere Leben in Syrien, die Einschätzungen der Flüchtlinge, was den Arabischen Frühling im Jahr 2011 betrifft, die Eskalation und Radikalisierung und schließlich den Bürgerkrieg. "Es ist ja für sehr viele Flüchtlinge aus Syrien unvorstellbar, was passiert ist."

Tabu Religion

Im Alltag hatten die ethnisch-religiösen Gruppen der Alawiten, Drusen, Sunniten, Christen und Ismailiten wenig miteinander zu tun. Das Thema Religion war unter dem Baath-Regime Assads stark tabuisiert. Die Siedlungsgebiete waren getrennt, geheiratet wurde – abgesehen von einigen liberal denkenden Intellektuellen in den Städten – strikt untereinander, erklärt der Forscher, der auch am Institut für Kultur- und Sozialanthropologie der Universität Wien tätig ist. "Erstaunlich war für mich auch, wie wenig man von den anderen Religionen wusste." Gleichzeitig aber galt überall die Devise: "Kulna mitl ba'd" – was so viel heißt wie: "Wir sind alle gleichwertig, zwischen uns gibt es keine Konflikte."

Wesentlich auf dem Weg der Eskalation war unter anderem die Mobilisierung der reaktionären Sunniten, die schon seit der blutigen Niederschlagung des Aufstands von 1982 vom Regime frustriert waren – "dabei spielten auch die sunnitisch-doktrinären Satelliten-TV-Sender der Golfregion, Internet und Youtube eine große Rolle", sagt Fartacek. In den Interviews berichten die Kriegsflüchtlinge auch von Flashmob-artigen Versammlungen im Rahmen der Freitagsgebete.

Forderung nach Deutschkursen

In Österreich seien ethnisch-religiöse Konflikte unter Syrern aber derzeit kein Thema: "Die Flüchtlinge argumentieren immer wieder, dass man hier keine Konflikte haben will", sagt Fartacek. Auch die Treffpunkte wie Kaffeehäuser oder Vereine, die sich bereits gebildet haben, seien nicht nach den ethnischen Netzwerken unterteilt: "Da scheint zumindest bisher eher die Identität als Syrer oder als Geflüchteter zu zählen."

Österreich werde dabei "sehr verschieden" wahrgenommen. "Vielen ist es ein echtes Anliegen, sich am Schluss der Interviews explizit für die großzügige Aufnahme und Versorgung zu bedanken." Kämpfen würden die Flüchtlinge jedoch damit, lange auf Deutschkurse warten zu müssen, betont Fartacek: "Von allen wird thematisiert, dass sie unbedingt arbeiten wollen", was sie aber als Asylwerber nicht dürfen – und später häufig aufgrund fehlender Möglichkeiten noch nicht können. (wpl, 31.3.2016)