Es heißt, Sozialgeschichte lässt sich am besten anhand alltäglicher Objekte erzählen. Stimmt diese These, schreibt man die Historie eines Landes und seiner Regenten wohl mittels angesammelter Kunstwerke. "Die großen alten Sammlungen Europas, so auch diejenigen des Kunsthistorischen Museums, sind wie Bücher, die davon erzählen, wie man sich die Welt erdacht hat", führt Sabine Haag, Direktorin besagten Museums, ins Treffen. "Um die geistigen Voraussetzungen für das Weltbild zu verstehen, das uns durch die Objekte vermittelt wird, bedarf es des notwendigen Wissens, mit dem der Zugang zu diesen Kunstwerken erleichtert wird."

Die Wunderkammern des Kunsthistorischen Museums bieten seit 125 Jahren ein prächtiges Panorama der Kunst- und Geistesgeschichte, sie verdanken ihre Entstehung Aufklärung, Kunstsinn, Mäzenatentum und Offenheit der Habsburger. Kunst, egal ob sakrale Objekte, antike Statuen, philosophische Gemälde, sie repräsentieren Werte und Ideale: die der Antike, der griechisch-römischen, ägyptisch-orientalischen Mythologie, des christlich-jüdischen Abendlandes sowie der Moderne.

Viele der in den prunkvollen Räumen perfekt inszenierten Mythen und Bilderwelten sind heute aber nicht mehr ganz plausibel. Die Autoren Philipp Blom und Veronica Buckley geben nun Neue Einblicke in das Kunsthistorische Museum und versuchen die Geschichte, die Legenden von seinerzeit in das Hier und Jetzt zu transponieren. In wunderbaren Miniaturen fügen sie Objekt an Objekt. Eloquent und wortgewandt künden sie von Eros und Thanatos, von Gewalt und Ritualen, von Entdeckungen, Versuchungen und Enthüllungen, von Zeit und Raum, von Pracht und Herrlichkeit, von Ekstase und Imagination. Teilweise rein assoziativ, teils intuitiv. Frei und ungehemmt erzählen sie von Flirt und Leid, von der Apokalypse, vom kleinen Tod und großen Emotionen. Genial.

Gott sei Dank hat Irans Präsident Rohani kürzlich seinen Wien-Besuch abgesagt. Sonst hätten die Stadtväter und -mütter, Staatsdiener und selbsternannten Moralschützer – analog zum vorauseilenden Gehorsam in den Kapitolinischen Museen, wo letzthin alles eventuell "Unsittliche" von schmucken Wahlkabinen verhüllt wurde – gleich Christo engagieren müssen, um das gesamte imperiale Areal komplett verpacken zu lassen. Denn allein im Entree des KHM räkeln sich gut 50 nackte oder halbnackte Damen und Herren. Ganz zu schweigen von den Skulpturen im Inneren, von den Fresken und Gemälden, die kunstvoll nach den perfekten Idealen von Körper, Geist und Psyche suchen. Als Hymnus an Leben, an Kunst und Kultur. (Gregor Auenhammer, 6.4.2016)